Nachtblüten
Anwandlungen kriegt und dort mit seinem toten Vater Zwiesprache hält. Dann läßt sie ihn rein, und sie hat ihn auch schon drinnen reden hören. Sie hat die Schlüssel, also können Sie sich denken…«
»Schlüssel kann man nachmachen.«
»Ich weiß. Und Diebe tragen Handschuhe, was Haushälterinnen nicht tun. Seine Haarbürsten – ich bitte Sie, was für ein Fall. Na ja, jetzt wird die Sache wohl im Sande verlaufen. Trotzdem dürfte es gewissen Leuten ganz recht sein, wenn die Haushälterin tatsächlich geht… Ich nehme an, Sie wissen alles über den schweren Diebstahl vor ein paar Jahren?«
»Ja… Sie scheinen allerdings auch recht gut im Bilde zu sein.«
Er lachte leise. »O ja! Gärtner arbeiten meistens paarweise, wissen Sie, und wir können uns ja nicht immer nur über das Problem mit den Blattläusen unterhalten. So, da wären wir. Sollte mich allerdings wundern, wenn Sie ihn zu sehen kriegen… Es heißt, gestern und auch heute morgen sei es ihm sehr schlecht gegangen. Vermutlich die Aufregung. Ich glaube, er ist ein guter Mensch. Bei den Arbeitern hier ist er allgemein sehr beliebt, und auf deren Urteil gebe ich mehr als auf alles andere. Jedenfalls würde ich nach dem Studium wirklich gern weiter hier arbeiten… Ich hoffe, man läßt Sie zu ihm. Der Obergärtner meint, er sei sehr angetan von Ihnen, und die Haushälterin sagt das auch. Ich heiße übrigens Jim. Wir sollten uns mal unterhalten…«
Der Maresciallo konnte Sir Christopher nicht sprechen, ja, bekam nicht einmal die verstimmte Haushälterin zu sehen. Er hatte sich gerade überlegt, ob dieser Jim am Ende hoffte, daß er ein gutes Wort für ihn einlegen würde – was lächerlich war, auch wenn ihm der Junge gefiel –, als Porteous aus der Tür trat und der junge Gärtner ohne ein weiteres Wort verschwand, als ob er sich in Luft aufgelöst hätte.
»Es tut mir leid, aber Sir Christopher geht es heute nicht gut, gar nicht gut. Ich fürchte, Sie haben sich umsonst herbemüht.«
»Nein, nein…« Der Maresciallo hielt Porteous einen Plastikordner hin. »Wenn Sie Sir Christopher diese Papiere zu lesen und zur Unterschrift geben würden – das ist das Protokoll und die Diebstahlsanzeige. Die Kopien sind für Sir Christopher, zur Vorlage bei der Versicherung.«
»Ja, ja. Um all das wird sich sein Anwalt kümmern. Er ist ohnehin gerade bei Sir Christopher.« Porteous zögerte. Offenbar schien es ihm doch nicht ratsam, den Maresciallo gar so schroff abzuweisen. »Folgen Sie mir.«
Immerhin ging es diesmal nicht durch den Küchentrakt. Hinter der Kuppelhalle mit dem Mosaikfußboden und dem stillgelegten Springbrunnen hatten sie sich nach links gewandt und waren eine Weile schweigend durch dämmrige Korridore gegangen, bevor Porteous den Maresciallo vor einem Zimmer warten hieß und hineinschlüpfte. Die Tür hielt er mit der Hand einen Spaltbreit offen. Trotzdem gelang es dem Maresciallo, so sehr er sich auch anstrengte, nicht, auch nur ein Wort von dem, was drinnen gesprochen wurde, zu verstehen. Dann war Porteous wieder herausgekommen, bat ihn abermals, sich zu gedulden, und eilte davon. Wieder öffnete sich die Tür einen Spalt, und nun war Sir Christophers Stimme zu erkennen, aufgeregt, zittrig und besorgt.
»Besonders die kleinen Legate…« Was sagte er da?
»Schondersch… krrei…legg …legg.« Mühsam lallend wiederholte er immer die gleichen Silben. War der Mann betrunken? War der Maresciallo, nachdem man ihn erst eigens herbestellt hatte, deshalb nicht vorgelassen worden?
»Seien Sie unbesorgt. Bis morgen habe ich alles aufgesetzt.«
»Schon-der-sch…!« Die vielen Flaschen neulich im Pavillon. Vielleicht hatte der Maresciallo sich durch die verträumte Schönheit dieses Sommergartens betören lassen, und es war gar nicht die Nähe des Todes gewesen, die Sir Christopher die Augen schließen und seine Gegenwart vergessen ließ, sondern übermäßiger Alkoholgenuß. Die Engländer tranken ja angeblich ziemlich viel.
Nach weiterem, fast unhörbarem Gemurmel kam der Anwalt heraus und schloß leise die Tür hinter sich. Als er seiner ansichtig wurde, machte der Maresciallo Stielaugen. Für einen Mann hatte dieser Advokat auffallend blaue Augen und dichte, seidige Wimpern, aber was den Maresciallo besonders überraschte, war seine Jugend. Als Rechtsbeistand eines Mannes vom Range Sir Christophers hätte er sich einen reifen, erfahrenen Herrn vorgestellt. Aber möglicherweise war der hier ja nur ein Juniorpartner aus einer
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