Nachtblüten
stärker als sie sind. Das kommt von der brutalen Behandlung, die läßt sie verrohen.«
»Da mögen Sie recht haben. Geben Sie her. Auf meiner Seite steht ein Abfalleimer.« Lorenzini warf ihre Kaffeebecher weg und gähnte. »Gott, war das ein langer Tag. Was haben Sie bei Ihrem Besuch in der Villa erreicht?«
»Gar nichts. Das heißt, ich bin schon dort gewesen, aber Sir Christopher konnte mich nicht empfangen. Er hatte kürzlich einen leichten Schlaganfall, und nun muß er jede Anstrengung oder Aufregung vermeiden. Bei meinem ersten Besuch erzählte er mir, daß er als Kind an rheumatischem Fieber litt.«
»Ah, wie meine Mutter. Die hatte auch schon zwei oder drei kleinere Schlaganfälle vor dem, an dem sie starb. Schädigt die Herzklappen, dieses rheumatische Fieber. Durch Rheumaknötchen, Vernarbungen und so wird die Herztätigkeit beeinträchtigt. Aber heißt das nun, daß Sie noch mal dort raufmüssen? Drei Termine wegen einer gestohlenen Haarbürste oder was immer es war? Vor dem Gesetz sind alle gleich, ausgenommen die Reichen…«
»Hm… Aber rheumatisches Fieber macht auch vor den Reichen nicht halt.«
Um die Wahrheit zu sagen, war der Besuch des Maresciallos, auch wenn er Sir Christopher nicht gesprochen hatte, zumindest insofern erfolgreich gewesen, als er seine Neugier auf den Tagesablauf eines reichen Mannes hatte stillen können, wenngleich seine Verwirrung im nachhinein in mancher Hinsicht noch größer war als zuvor, besonders, was den Mangel an Personal für ein Anwesen von dieser Größe betraf. Ein junger ausländischer Gärtner, sehr groß und blond, hatte ihn am Tor empfangen und gesagt, er habe Anweisung, ihn zur Haushälterin zu bringen. Und bevor sie sich auf Vorschlag des Maresciallos zu Fuß auf den Weg über die lange Auffahrt machten, hatte er in ein Walkie-Talkie gesprochen.
»Wenn Sie wollen, kann Ihr Fahrer im Pförtnerhaus warten.«
»Nein, nein… Auf dem schattigen Parkplatz ist er gut aufgehoben.« Der Spaziergang hinauf zur Villa bot willkommene Gelegenheit für einige scheinbar unverfängliche Fragen. »Arbeiten Sie ganztags hier?«
»Als Gärtner, ja – das heißt, eigentlich bin ich nur vorübergehend hier, während der Semesterferien. Ich komme aus England, wo ich Gartenbau studiere.«
»Aus England? Sie sprechen aber gut Italienisch.«
»Sie meinen, für einen Ausländer. Natürlich habe ich bei den anderen Gärtnern ein bißchen was von ihrem Florentiner Idiom aufgeschnappt. Besser als der schreckliche englische Akzent, den die haben, die eine Sprache studieren, statt sie einfach im Alltag zu erlernen. Jedenfalls werden sich die Praktika hier in meinem Lebenslauf gut machen – ich bin nämlich schon zum vierten Mal da. Und sobald ich meinen Abschluß habe, würde ich gern ganz herziehen.« Er verlangsamte seine Schritte, wandte sich dem Maresciallo zu und dämpfte die Stimme, obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen war. »Also eigentlich bin ich nämlich so eine Art armer Verwandter.«
»Ein Verwandter?«
»Entfernt. Sehr entfernt und sehr arm.« Er lachte. Seine tiefblauen Augen glänzten heiter, aber seine Stimme blieb sorgsam gedämpft. »Meine Mutter war eine weitläufige Verwandte, Cousine vierten Grades oder so von jemandem, der in Sir Christophers Familie mütterlicherseits einheiratete. Sie schrieb meinetwegen an Sir Christopher, der sehr zuvorkommend antwortete, und nun bin ich hier.«
»Und wie kommen Sie mit ihm zurecht?«
»Oh, er ist sehr freundlich. Kommt jeden Morgen, um sich mit uns zu besprechen, vor allem natürlich mit dem Obergärtner. Der ist hier geboren, und der Vater von Sir Christopher hat ihm ein eigenes Häuschen vermacht – dort drüben, zwischen den beiden Weinbergen. Können Sie es sehen?«
Der Maresciallo staunte nicht schlecht. »Oben auf der Anhöhe? Da wohnt der Gärtner?«
»Nein!« Jetzt flüsterte der Junge nur noch, so daß der Maresciallo sich ganz nahe zu ihm hinüberbeugen mußte, um ihn zu verstehen. »Das Gärtnerhäuschen liegt viel näher, unten in der Talsenke. Sie können nur das Dach sehen. Das dort oben ist eine ziemlich große Villa, die früher als Gästehaus diente – für Sir Christophers geschätzten Freunde aus dem Hochadel und Schriftsteller und Künstler und Multimillionäre. Dazu könnte die Haushälterin Ihnen so einiges erzählen. Sie sagt, sein Vater habe Antiquitäten gesammelt und er sammle prominente Namen. Nun, warum nicht, ist doch ein harmloser Zeitvertreib. Und hat ihm immerhin einen
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