Nachtblüten
Sie noch? Nun, ich denke, jetzt ist es an der Zeit.«
9
D u lieber Himmel… am besten, er klärte das gleich vorab. Heute konnte er sich weiß Gott keine weitere Verzögerung leisten.
»Hören Sie, es ist sehr freundlich von Ihnen, eigens herzukommen, um mir zu sagen, daß Sir Christopher eine so gute Meinung von mir hat. Und ich zweifle auch nicht an Ihren Worten, weil es tatsächlich so zu sein scheint. Außerdem sind Sie nicht der erste, der mir das sagt. Trotzdem kann ich’s mir nicht erklären, wo er mich doch kaum kennt. Ja, und ich weiß auch, wie schwer es für euch junge Leute ist, heutzutage Arbeit zu finden. Aber ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen. Es tut mir leid…«
»Mir helfen? Ich glaube, Sie haben mich mißverstanden. Was mir Sorge macht, ist unser kleiner Diebstahl. Sehen Sie«, er beugte sich vor und sah den Maresciallo mit ernstem, fast beschwörendem Blick an, »ich denke, und der Obergärtner ist derselben Meinung, daß dieser Raub nur vorgetäuscht war. Eigens als Insider-Job inszeniert, damit später, wenn es zu einem richtig großen Diebstahl kommt, der Verdacht auf jemanden fällt, der die Einbrecher hereingelassen haben könnte – die Haushälterin zum Beispiel.«
»Aber ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß wir die nie in Verdacht hatten.«
»Das habe ich ihr auch ausgerichtet, aber Sie wissen doch, was letztes Mal passiert ist: Der damalige ›Giorgio‹ und der Butler mußten gehen, verjagt von denen, die im Haus das Sagen haben, obwohl Ihre Leute die beiden damals auch nicht verdächtigt haben. Und es nicht den Hauch eines Beweises gegen sie gab. Aber die Haushälterin sagt, diesmal sei es noch viel schlimmer. Sie meint, mit den DNA-Tests, die es heute gibt…«
»Die Frau redet Unsinn.«
»Glauben Sie? Das mag ja sein, aber wie ich Ihnen schon neulich erzählte, geht sie im August in Urlaub, und sie trägt sich mit dem Gedanken, hernach zu ihrer Schwester zu ziehen. Wir glauben, daß Sir Christopher im Sterben liegt, und wenn er nicht mehr ist… nun, Sie wissen schon, was ich meine, Sie bearbeiten ja den Fall. Aber das ändert alles nichts an der Tatsache, daß, wenn es zu einem Diebstahl im großen Stil kommen sollte, immer noch Giorgio da wäre, den man beschuldigen und zugleich vor der Polizei in Schutz nehmen könnte. Also wird er den Mund halten oder nur das sagen, was man ihm eingetrichtert hat. Sie verstehen?«
»Ich… nein. Giorgio ist der Junge aus dem Kosovo, der die Bibliotheksbestände katalogisiert oder so was Ähnliches, ist das richtig?«
»Die Kunstsammlung. Theoretisch ist das seine Aufgabe, ja. Aber auch darüber wird er schweigen. Und Sie haben recht, er kommt aus dem Kosovo. Der letzte in einer langen Reihe von ›Giorgios‹.«
»Ich dachte mir schon so was, obwohl Sir Christopher … ich meine, in seinem Zustand…«
»Oh, nein! Er hat sie einfach nur gern um sich. Viele wurden mehr oder weniger von der Straße aufgegriffen und fanden in L’Uliveto Unterschlupf – illegale Einwanderer, italienische Kids, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren… Nichts als ein bißchen selbstsüchtige Barmherzigkeit von seiner Seite, und in diesem Fall tut er wirklich ein gutes Werk. Giorgio spricht fließend italienisch und dazu noch ganz gut russisch, und er ist sehr intelligent. Hat zu Hause Medizin studiert. Neben seiner Arbeit am Katalog erledigt er bereitwillig alles, was ihm aufgetragen wird, und das, obwohl sie ihm nur einen Hungerlohn zahlen.«
»Langsam kann ich Ihnen folgen. Sicher hat er auch Heimweh. Er ist ja noch so jung.« Ein Blick durch den Türspalt auf einen weinenden Jungen und Porteous’ massierende Hand… »Heimweh? Nach dem Kosovo? Ein illegaler Einwanderer, der seine Rettung den Finessen eines angesehenen Anwalts verdankt? Und nun, da er sich wegen dieser geklauten Haarbürsten ängstigt, wird derselbe angesehene Anwalt wieder die Güte haben, sich seiner anzunehmen.«
»Verstehe. Doch dieser letzte große Raubüberfall? Sie sagten, der Butler wurde entlassen. Aber Sir Christopher hatte doch sicher…«
»Nicht Sir Christopher! So was ging nie von Sir Christopher aus. Es sind die anderen, angeführt von Porteous. Die führen ihn hinters Licht, verleumden jeden, den sie loswerden wollen. Personal, das schon zu lange im Haus ist, zuviel weiß. Sie werden froh sein, wenn die Haushälterin tatsächlich nicht wiederkommt. Sie ist in der Villa geboren, müssen Sie wissen. Sie und Sir Christopher sind gleichaltrig, und ihre
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