Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
ein. Fraglich ist nur, ob er bereit dafür wäre – oder ich.
„ Ein solcher Abend würde sich sicher in Ihr Gedächtnis brennen“, antworte ich daher und er sieht mich merkwürdig an. Etwas in mir reagiert auf diese Art Blick. Schnell spreche ich weiter, bevor sich das, was sich da gerade rekelt, zu wohl fühlt. „Ob positiv oder negativ, kann ich vorher nicht genau sagen. Manche Menschen lieben das Außergewöhnliche und sind bereit Grenzen zu überschreiten. Andere wiederum stellen schnell fest, dass ihre eigene Courage nicht dafür ausreicht. Sie flüchten sich flugs zurück in die Enge ihres bisherigen Lebens.“
Puh – das war gerade genug, um mein Inneres zu beruhigen und doch mehr oder weniger bei der Wahrheit zu bleiben.
Seine Augen stehen plötzlich voller Merkwürdigkeiten. Was soll das denn jetzt? Er legt die Fingerspitzen aneinander und blickt mich über den Rand seiner Brille hinweg an. Ähm, hallo? Ich bin hier der Jäger …
„ Interessant. Wie würden Sie mich einschätzen?“
Die Antwort darauf ist schnell gegeben. „Als einen Menschen, der weiß, was er will.“
Er nickt, dann schweigt er eine Weile.
„ Glauben Sie, mir würde eine Tätowierung stehen?“
Ich lache und die vorherige Spannung zwischen uns lockert sich ein wenig. „Mit Verlaub, nein. Sie sind nicht der Typ dafür. Aber Sie haben sicher andere Qualitäten.“
Sein Lächeln ist zweideutig. „Die habe ich in der Tat.“
Und da ist sie wieder. Die unausgesprochene Kraft der Eigendynamik, die sich zwischen uns entwickelt hat und wie ein Neugeborenes nach Aufmerksamkeit und Schutz verlangt. Es ist einfach zum Verrücktwerden. Für den Bruchteil zweier Sekunden überlege ich, einfach mit einem patzigen „Das ist ja schön für Sie“ zu antworten, doch dann beschließe ich, seine Äußerung einfach mal unkommentiert zu lassen und mich stattdessen im Raum umzusehen.
Das Café leert sich zusehends; und sind da nicht ein, zwei Bedienstete, die verstohlen in unsere Richtung linsen?
„ Wissen Sie, wie lange das Café geöffnet hat?“, wechsele ich offensiv das Thema und sehe ihn wieder an.
Er blickt unvermittelt zurück. „Nein. Wollen Sie gehen?“
Ich mache eine vage Kopfbewegung. Wo Sharroll nur bleibt? Hat sie nicht etwas davon gesagt, dass sie ihren Bruder erst loswerden muss? Für einen Moment kommt mir eine andere Szene in den Sinn. Hat nicht erst kürzlich jemand davon gesprochen, dass seine kleine Schwester mit auf dem Schiff sei? Ich komme gerade nur nicht drauf.
„ Also, wenn Ihnen meine Gesellschaft unangenehm ist …“, beginnt Alex und sieht mich dabei direkt an. Was? Wieso unangenehm? Ach ja, ich habe seine Frage nicht beantwortet.
„ Nein, das ist es nicht. Keine Sorge.“
Er lächelt. „Dann ist es ja gut. Das wäre mir nämlich unangenehm.“ Was? Ich bin verwirrt. Es wäre ihm unangenehm, wenn es mir unangenehm wäre, wenn Sharroll nicht erscheint? Das ist doch absurd. Ich verstehe nicht, worauf er hinauswill.
„ Aber Sie können doch nichts dafür“, gebe ich langsam von mir und er antwortet prompt.
„ Ich denke, ich kann sehr wohl etwas dafür, wenn Sie sich in meiner Gegenwart nicht wohl fühlen. Oder sehen Sie das anders?“ Er lächelt smart und jetzt begreife ich erst, worauf er hinauswollte.
„ Da machen Sie sich bitte keine Sorgen.“
Okay, die Antwort ist vage genug, um ihn zu beruhigen und um mich von meinem eigentlichen Problem abzulenken: Sharroll. Oder vielmehr ihr Ausbleiben.
Vielleicht sieht sie uns auch einfach gar nicht, geht mir just in diesem Moment auf, denn ein alter Bekannter schlendert mit suchendem Blick an unserer Ecke vorbei. Collin ist anscheinend auf der Suche nach neuen Opfern. Vielleicht haben ihn Jessica und ihre Mutter ja doch durchschaut? Ein kurzer Blick in seine Gedankenwelt offenbart Enttäuschung. Woran genau das liegt, kann ich auf diese Entfernung natürlich nicht erkennen, aber es reicht, um mir ein boshaftes Grinsen zu verkneifen. Plötzlich taucht das Bild von Sharroll in seinem Kopf auf. Selbst auf diese Entfernung ist es so deutlich, als hätte jemand eine Flutlichtanlage eingeschaltet. Das ist so was von überhaupt nicht gut.
Als ich mich von Collin abwende, begegne ich Alex’ Blick, der zielsicher auf mir ruht. Er schmunzelt. „Einen Penny für Ihre Gedanken, Miss Ashton.“
Ich schmunzele zurück. „Mit einem Penny kommen Sie da aber nicht weit.“
„ Etwas anderes hätte mich auch schwer enttäuscht.“
Immer diese unverhofften
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