Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Komplimente – daran könnte ich mich tatsächlich gewöhnen. Einem Impuls folgend stehe ich auf und er macht Andeutungen, mir zu folgen. Ein kurzer Blick hinunter zu unseren noch gut gefüllten Weingläsern lässt ihn jedoch innehalten.
„ Würden Sie mich einen Moment entschuldigen?“ … ich muss nur mal eben jemandem die Kehle herausreißen.
Er lächelt und lehnt sich entspannt zurück. „Selbstverständlich.“ Nach seinem Weinglas greifend, prostet er mir zu.
23. Kindermädchen
Es ist beinahe zu einfach, ungesehen hinter Collin herzuschleichen – und das ganz offensichtlich an einem so öffentlichen Platz wie diesem. Er hat für alles Augen und Ohren, nur nicht für das, was genau hinter ihm liegt. Und das bin ich. So, als wollte er geradezu in sein Verderben laufen, biegt er am Ende des Gastraums zum Ausgang und damit zu den direkt dort liegenden Toiletten hin, ab. Für einen unbeteiligten Beobachter scheinen unsere Wege einfach in die gleiche Richtung zu gehen, nur dass mich kein dringendes Bedürfnis im klassischen Sinne treibt. Vielmehr ist es der merkwürdige Wunsch, jemanden zu beschützen – und das, was sich mir in Collins Gedanken nach und nach offenbart, steigert dieses Bedürfnis beinahe ins Unermessliche.
Doch halt – ein neuer Gedanke steigt in seinem Kopf auf und verdrängt den letzten. Beinahe muss ich laut auflachen, als ich ihn empfange. Das kann ja interessant werden. Jessica im knappen schwarzen Dienstmädchenkleid mit weißer Rüschenschürze und einem blassen Häubchen. Collin, Collin, Collin – welche Abgründe. Oh, da kommt noch ein Bild: Sie beugt sich mit einem Flederwisch vor und … Männer! So einfach zufriedenzustellen. Da gibt man sich die größte Mühe und sie wollen einen bloß ohne Höschen sehen. Ts, ts, ts, für einen Moment überlege ich, ob ich beleidigt sein soll, doch dann tritt Jessica selbst in mein Blickfeld.
Allerdings ohne das kleine Schwarze, sondern ordentlich frisiert und in einem tadellosen cremefarbenen Zweiteiler, der mit lindgrünen und apricotfarbenen Blüten bedeckt ist. Was sollen das für welche sein? Stiefmütterchen? Die kann sich auch nicht entscheiden, zu welchem Alter sie nun gehören will. Gestern noch die aufmüpfige Rockebella, heute die biedere Modeprinzessin im gehobenen Alter. Meine Güte, was bin ich doch gehässig. Langsamer werdend, beobachte ich, wie sich die beiden einen verstohlenen Blick zuwerfen und Collin sich dann links hält.
„ Gleich schieben sie ‘ne schnelle Nummer auf dem Klo“, flüstert mir das kleine Teufelchen auf meiner rechten Schulter zu und das Engelchen auf meiner Linken hält sich vor Entsetzen die Ohren zu. Jessica sieht sich ganz unbefangen um und folgt ihm. Mich kann sie glücklicherweise nicht sehen, denn zum einen verdeckt mich eine spanische Wand halb und zum anderen ist da noch eine kleiner Baum mit rund geschnittener Krone im Weg. Außerdem blickt sie sich nur halbherzig um und sicherlich erwartet sie mich heute nicht hier – ein schwerer Fehler. Sie verschwindet ebenfalls im Gang zu den Toiletten.
Allerdings geht sie nicht hinein, denn ein helles Klicken ertönt und verrät mir, dass sie nicht die Stahltüren genommen hat. Wohl eher eine kleine Nebenkabine – oder ein Putzschrank. Also wirklich, was für ein Ort für eine so hochwohlgeborene Dame. Was wohl die Mami dazu sagen würde? Ob ich sie ausrufen lassen soll? Aber nein, das würde mir den ganzen Spaß verderben. Nur mühsam unterdrücke ich den Impuls, mir voller Vorfreude die Hände zu reiben und dabei wie eine alte Märchenhexe vor mich hin zu kichern.
Schnell werfe ich noch einen Blick zu Alex hinüber, der interessiert ein Blumendekor mustert. Natürlich, so lange bin ich ja noch nicht weg von unserem Tisch. Es kommt mir nur so vor, weil sich die Ereignisse gerade beinahe überschlagen. Gemütlich bewege ich mich an der Wand vorbei und betrete den Gang. Ein kurzer Blick in die Runde zeigt mir, wie erwartet, die beiden Stahltüren mit den Piktogrammen von Mann und Frau. Wieso wird die Frau eigentlich nach wie vor mit einem Rock dargestellt? Egal. Mein Blick wandert daran vorbei und tatsächlich findet sich noch eine Tür weiter hinten im Flur.
„ Staff Only“ steht darauf in großen weiß-roten Lettern. Na, wenn das mal kein Verstoß gegen die Schiffsregeln ist. Zum Glück liegt direkt neben der besagten Tür ein Ausgang hinaus auf das Deck. Die Türen kann man schon mal verwechseln. Genau wie ich es gleich
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