Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
„Sie sind so … dumm – und oberflächlich.“ Ah. „Ich kann mit ihnen nichts anfangen und es macht mich krank, dass mein Bruder sich mit ihnen abgibt.“
„ Weil er eigentlich ein feiner Kerl ist?“, versuche ich sie aufzumuntern.
Sie nickt. „Ist er wirklich.“
Tja, was soll ich sagen? Schweigend blicke ich in die Runde und bemerke, dass sich das Café bereits sehr geleert hat. Wir sind die letzten Gäste, um genau zu sein. Ich blicke zu Sharroll hinüber und beschließe, dass es an der Zeit ist zu gehen. Sie sieht sehr müde aus. Moment mal, mache ich mir Sorgen um sie? Das ist so was von überhaupt nicht gut. Immerhin muss ich hier noch ein paar Tage unerkannt „überleben“, und eine neugierige Tagesbegleitung ist das Letzte, was mir jetzt noch fehlt.
„ Ich denke, wir sollten das Café jetzt langsam verlassen. Wir sind die letzten Gäste.“ Freundlich lächele ich sie an und stehe auf.
Der Barkeeper scheint hocherfreut, diese Entwicklung zu sehen. Sharroll, die bis eben für einen Moment in sich selbst versunken war, schrickt auf und erhebt sich ebenfalls.
„ Wie spät ist es eigentlich?“
Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. „Beinahe ein Uhr.“
Sie erschrickt erneut. „Oh, Mist. Dann wird mein Bruder sicher auch bald zurückkommen und wenn ich dann nicht in der Kabine bin, ist die Hölle los.“
„ Dann schlage ich vor, wir verabschieden uns und sehen uns wahrscheinlich dann morgen.“ Nicht ganz ohne Erleichterung spreche ich diesen Satz aus.
„ Ja, gerne.“ Sie umarmt mich spontan. „Danke, dass du mir meine dummen Fragen nicht übel genommen hast.“ Sie löst sich von mir.
„ Nicht der Rede wert“, beschwichtige ich ihre Euphorie.
„ Mit dir kann man wirklich toll reden.“ Also, das hat man mir lange nicht mehr gesagt.
„ Gerne geschehen.“
Verlegen tippelt sie von einem Fuß auf den anderen und ich mache eine auffordernde Geste. „Jetzt geh schon. Ich muss noch die Rechnung auf meine Karte buchen lassen.“
Sie lächelt verschmitzt. „Das hat Alex bestimmt übernommen.“
Daran habe ich gar nicht gedacht und rette mich in ein abwesendes „Möglich.“ Ich streiche den Stoff meiner Hose glatt und sehe sie an.
Sie lacht. „Du bist seltsam, aber das ist in Ordnung.“ Dieses Kind!
„ Immer zu Diensten“, gebe ich zurück. „Gute Nacht, Sharroll.“
„ Gute Nacht.“ Sie dreht sich um und verschwindet schnellen Schrittes aus dem Café.
Ein wirklich seltsamer Teenager. Als sie aus meinem Blickfeld verschwindet, bin ich beim letzten Bediensteten angekommen. Dieser teilt mir höflich mit, dass die Rechnung bereits gebucht sei und wünscht mir eine angenehme Nacht.
Also hat Sharroll recht behalten und Alex hat mich eingeladen. Wer versteht schon diesen Mann. Den Kopf voller Gedanken verlasse ich das Café und bewege mich den Flur entlang. Was war das für ein merkwürdiger Abend?
Da ich keine Lust habe, den an sich erst angebrochenen Abend so stehen zu lassen und mich ins Bett zu trollen, führt mich meine Neugier zurück auf Deck 2 und dort ins Casino. Die Roulette und Black Jack Tische sind gut besetzt und es herrscht eine Atmosphäre wie an einem Grabbeltisch im Winterschlussverkauf. Allerdings sind die Tische viel zu übersichtlich angeordnet. Wer einmal in den großen Hallen des Mirage oder MGM Grand gespielt hat, weiß, dass Casinos wie große Labyrinthe angelegt sind. Man kommt schnell hinein und dringt bis zum Herzstück, den Tischen mit den hohen Einsätzen, vor, hinaus kommt man jedoch wesentlich schwieriger.
Auch fehlt mir ein bisschen die Atmosphäre aus ambitioniertem Glücksspiel und der manischen Gewinnsucht der professionellen Spieler. Aber vermutlich ist das in diesem Rahmen zu viel verlangt und so sehe ich mich weiter um. Ben würde sicher sein Glück beim Black Jack versuchen. Und Alex? Ich schmunzele. Nein, den korrekten Mann kann ich mir nicht an einem Spieltisch vorstellen. Höchstens, und auch nur vielleicht, beim Roulette. Wieso wandern meine Gedanken eigentlich immer wieder zurück zu diesen beiden? Es kann mir wirklich absolut egal sein, was und ob sie spielen oder nicht.
Die vielen Lichter der Spielautomaten blinken und surren unaufhörlich um mich herum, so dass man sich in ihrem Licht verlieren könnte, trotzdem sind sie putzige kleine Dinger, die pflegeleicht ihren Dienst tun. Also, rein ins Vergnügen und ablenken von all dieser ergebnislosen Grübelei. So schwer kann das ja schließlich nicht sein.
Nach
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