Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
einer gemütlichen Sondierung stelle ich fest, dass hier – ganz gegen die sonstige Gewohnheit an Bord – tatsächlich Spielchips ausgegeben werden. Wahrscheinlich um mal etwas in der Hand zu haben. Außerdem macht es nun wirklich keinen Spaß, vor einem Einarmigen Banditen zu sitzen und nur seine Bordkarte durch einen Schlitz zu ziehen. Das hätte eher den Charme von einer öffentlichen Telefonzelle und stünde im krassen Gegensatz zu der eigentlichen Absicht der Betreiber.
Dennoch laden die gepolsterten roten Holzstühle zum Spiel ein und so habe ich mir ein paar Chips auszahlen lassen. Nach dem richtigen Zeitvertreib suchend, schlendere ich zwischen den Automaten und den Tischen hindurch und beobachte die Menge. Auch hier herrscht ein ausgeprägter Trend zur Abendgarderobe und ich komme mir fast ein wenig schäbig vor. Wahrscheinlich hat mich noch kein Ordnungshüter erspäht. Einen abgewrackten Spielzombie in drei oder mehr Tage alten Klamotten, der ungewaschen und unrasiert seinen Wochenlohn binnen kürzester Zeit verjubelt, wird man hier nicht finden. Schade, denn ich glaube, dem würde ich mich momentan noch am ehesten zugehörig fühlen.
Mit einem Chip zwischen den Fingern spielend schlendere ich weiter und beobachte die Menschen um mich herum. Männer und Frauen verschiedenen Alters scheinen fasziniert und magisch angezogen von den bunten Lichtern und der Verheißung auf ein schnelles Glück. Das ist wohl das beste Mittel, sich abzulenken, das ich mir jetzt gerade vorstellen kann. Nicht denken, nur handeln. Und mich von keinem Menschen irritieren lassen. „Mit dir kann man wirklich gut reden.“ Es ist niedlich, dass sie mich so vertrauensvoll an sich heranlässt, aber eigentlich will ich das nicht.
Nein, nicht eigentlich – ich will es überhaupt nicht. Ich will nicht wissen, was in ihrem Leben los ist und was sie denkt oder nicht denkt. Ich will auch nicht wissen, was sie in ihrer Freizeit tut und ob sie ihr Leben meistern wird oder nicht. Ich will überhaupt nicht wissen, was die Menschen um mich herum denken oder was sie beschäftigt. Das ist ihr Leben und ich habe weiß Gott genug mit meinem zu tun.
Aber genug davon für heute. Wo soll ich mich am besten niederlassen? Direkt vor mir wird gerade ein Spielautomat frei. Anscheinend hat er seiner bisherigen Nutzerin kein echtes Glück gebracht, aber das heißt ja nicht, dass es mir auch so gehen muss. Also setze ich mich vor den Kasten und werfe einen Spielchip ein. Die Lampen blinken auf, die Zahnräder drehen sich im Inneren mit ungemeiner Geschwindigkeit und zeigen doch keinen Gewinn an. Aber es war knapp. Zwei von drei Rädern zeigten die richtige Kombination. Ein weiterer Spielchip folgt, während ich mich über meine Gedanken amüsiere. Das hätte fast geklappt, also nicht aufgeben . Der Automat steht erneut und wieder sind es zwei von drei Symbolen, dieses Mal anders angeordnet.
Die Maschine ist raffiniert – sie gaukelt einem das greifbare Glück vor und man wird beinahe automatisch von dem Gedanken gepackt, dass es beim nächsten Mal bestimmt klappt, man war ja schließlich so nahe davor. Das ist ein ähnliches Phänomen wie die Automaten mit den Greifhänden auf Toiletten oder Jahrmärkten. Man werfe einen Quarter ein und bekomme ein hochwertiges Kuscheltier dafür. Alles Humbug, auch wenn es Spaß macht.
Das helle Lachen einer jungen Frau lenkt mich ab und ich erkenne nur knapp zwei Automaten neben mir Bens Clique: den Diamantohrringe verschenkenden Nigel, die Malibu Barbie Loren, Scott und Antonia, Paul und Celine und Desmond. Na, dann hat Sharroll sich heute wohl umsonst Sorgen gemacht. Ich zucke mit den Achseln und wende mich meinem Automaten zu. Der Automat dudelt eine auffordernde Melodie und ich stecke einen neuen Chip hinein. „Glück, mein Glück, komm näher ein Stück.“
Die Bande johlt und kreischt. Zum einen, weil sie wohl sehr viel Geld in die Automaten investieren und versuchen, sich gegenseitig zu überbieten. Zum anderen, weil gerade eben eine kleine Lichterflut auf Desmond herniedergeht. Der Automat spielt eine andere kurze Melodie ab und öffnet dann seine Schleusen. Spielchip um Spielchip quillt daraus hervor, so sieht also ein Gewinner aus. So schnell sie können, halten alle ihre Chipbecher darunter, doch das Chaos ist zu groß.
Anscheinend haben sie den richtig großen Jackpot geknackt, denn die Flut der vielförmigen bunten Plastiktaler landet mittlerweile auf dem Casinoboden, wo die Chips in alle
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