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Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myrna E. Murray
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Zeitabfolge der letzten Stunden zu konzentrieren.
    „ Und wo war Sharroll während dieser Zeit?“, erkundige ich mich und er legt die Stirn in Falten.
    „ Bei ihrem Bruder?“
    Ich seufze. „Wissen Sie das, oder vermuten Sie es?“
    Er überlegt erneut, dann senkt er den Kopf. „Ich vermute es.“
    „ Haben Sie denn nicht nachgesehen?“
    Er sieht ein wenig aus wie ein begossener Pudel. „Ich habe Bens Suite kurz betreten und da war sie noch dort. Allerdings ließ sie sich nicht überreden, die Party zu verlassen.“
    Ich grinse. „Warum auch? Immerhin war ihr Bruder bei ihr und der hat immerhin die Aufsichtspflicht. Stimmt’s?“
    Er nickt halbherzig. „Ich hätte sie dennoch lieber da rausgeholt. Einige der Damen waren bereits oben ohne.“ In seinem Ton schwingt leise Verachtung mit. „Ich hätte meine moralische Pflicht einfach nicht vernachlässigen dürfen.“
     
    Mittlerweile haben wir den Queens Room verlassen und einen halbwegs leeren Fahrstuhl zum Deck 12 gefunden. Dort angekommen öffnen wir die Außentüren.
    Der Wind schlägt uns kalt entgegen und es riecht nach Schnee. Das Deck ist nach wie vor gut beleuchtet und in einiger Entfernung liegt das von Ben wie eine Trophäe geschleuderte Jackett einsam auf dem Boden. Wir gehen ein Stück schweigend und sein Atem zeichnet sich in kleinen Wölkchen ab. Irre ich mich, oder hat er mich absichtlich hier hergebracht? Wir kommen am Pool vorbei, der nach wie vor etwas Wärme ausstrahlt. Dennoch hätte ich nicht das dringende Bedürfnis, dort jetzt hineinzuspringen.
    Ich sammele das Jackett auf und lege es über meinen nackten Arm. Eigentlich müsste ich jetzt frieren, aber nun ja, die Dinge sind, wie sie nun einmal sind. Bens Jackett stinkt nach Alkohol, Feuerwerkskörpern und einem billigen Aftershave.
    Was hat er gesagt? Seine moralischen Pflichten? Was soll das denn? Plötzlich weiß ich nicht mehr, was ich sagen, geschweige denn denken soll. Dieses Jackett ist mehr als nur ein Stück Stoff. Es ist ein Symbol, zumindest wird mir das genau in diesem Moment klar. Aber ein Symbol wofür?
    Plötzlich spüre ich Wärme hinter mir, drehe mich zu Alex um und fixiere ihn. „Warum bist du wirklich wie ein aufgescheuchtes Huhn zu mir in die Bar gekommen?“ Ich weiß, es ist frech ihn zu duzen, aber ich probiere es einfach.
    Er sieht mich eine Weile stumm an, dann antwortet er. „Du warst nicht dabei. Ich meine, auf der Party.“ Er tritt einen Schritt näher.
    „ Und da hast du dir Sorgen um die kleine Christa gemacht?“ Sarkasmus hilft nur partiell, dennoch nickt er.
    „ So ähnlich.“
    Ich bin beinahe enttäuscht. „Dann war es also nur ein Vorwand, dass du Sharroll suchst?“ Ich wusste es, es hatte einfach zu gut angefangen.
    „ Keineswegs.“ Jetzt ist es seine Stimme, die samtig dunkel wird. Er macht einen Schritt auf mich zu. „Sie ist tatsächlich verschwunden und ich will sie noch immer finden. Aber erst …“ Er steht jetzt direkt vor mir. Hoppla.
    „ Ja?“ Etwas reagiert in mir, aber ich kann mich jetzt nicht darum kümmern.
    „ Erst will ich das neue Jahr begrüßen.“ Er umarmt mich und ich bin neugierig.
    „ Hast du mal einen Mistelzweig?“, witzele ich, doch er lässt sich nicht ablenken.
    „ Den brauche ich nicht.“ Dann küsst er mich und ich lasse es geschehen.
     
    Es ist ein vorsichtiger, tastender Kuss. Er lässt mir die Wahl ihn zu erwidern und ich tue es. Eine ganze Weile stehen wir einfach so umschlungen in finsterer Nacht auf dem Deck und sind uns nahe. Bens Jackett entgleitet meinen Händen – zur Bedeutungslosigkeit degradiert.
    Er ist ein guter Küsser und irgendwann löst er sich von mir. Ich horche in mich hinein und finde – nichts. Keine Verliebtheit, keine Gier, nicht einmal den Anflug von Hunger.
    Es ist einfach nur ein Kuss gewesen. Vielleicht ein Anfang, vielleicht eine Dummheit, vielleicht einfach nur das Ergebnis von sich langsam aufbauenden Energien.
    Am besten finde ich jedoch, dass dieses Mal der „Was-wäre-wenn-Katastrophen-Film“, wie ich ihn gerne nenne, nicht vor meinem inneren Auge abläuft. Es ist völlig still. Wieder eine neue Erfahrung.
    „ Und jetzt?“, erkundige ich mich, da sein Gesicht nun noch unlesbarer für mich ist als vorher. Er lässt mich los ohne die Andeutung einer weiterführenden Geste.
    „ Jetzt suchen wir Sharroll.“
     

 
     
    28. So nah – so fern
     
    „ Tell it to my heart, tell me I'm the only one. Is this really love or just a game?” klingt es in meinem

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