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Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myrna E. Murray
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Sender und ich schaudere bei den Bildern, die in ihm hochsteigen. Bilder von Gewalt und abstoßenden Praktiken. Sie sind alt, doch sehr deutlich in ihrer Intensität, und sie zeugen von abscheulichen, unaussprechlichen Erlebnissen. Erlebnisse, die ihn geprägt haben und ihn doch nicht beherrschen. Oder nicht mehr? Dennoch sind sie da und in diesem Moment wird mir klar: Er ist irgendwann buchstäblich durchs Feuer gegangen und das hat ihn gestählt. Genau wie mich.
    Für einen Moment bin ich gewillt, ihm diese Erinnerung zu nehmen, ja, ihn einfach vergessen zu lassen, dass er diesen Schmerz je ertragen hat; aber dann entscheide ich mich dagegen. Jeder von uns hat schließlich seine Geschichte, ob uns das nun gefällt oder nicht. Ich hebe die Arme, nehme sein angespanntes Gesicht sanft in meine Hände und blicke ihn einfach nur an. Von gepeinigter Seele zu gepeinigter Seele.
    „ Mir wird nichts geschehen. Ich verspreche es dir.“ Mehr als meine Worte spricht etwas in mir zu etwas in ihm und genau das lässt ihn wohl auch einlenken.
    Seufzend gibt er nach. „Bist du dir absolut sicher?“
    Ich nicke. „Das bin ich.“
    „ Ich kann dich nicht beschützen, wenn ich hier draußen bin.“ Er umfasst meine Handgelenke und schenkt mir einen intensiven Blick.
    Ich zwinkere ihm zu. Mit den Worten: „Das wird nicht nötig sein, glaube mir“, lasse ich sein Gesicht los und schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln. Ich mache mich los und trete einen Schritt zurück. „Ach übrigens“, versuche ich die Situation ein wenig aufzulockern. „Bevor ich es vergesse: Für Exklusivrechte an mir ist es noch zu früh.“ Grinsend ziehe ich mich zurück und er packt mich am Arm.
    „ Und wenn ich dich dafür bezahle?“
    Es trifft mich wie eine kalte Dusche und dahin ist die Vertrautheit zwischen uns. Ich kann an seinem Gesicht sehen, dass ihm die Worte herausgerutscht sind, ohne dass er sie festhalten konnte. Sie tun ihm unglaublich leid und am liebsten möchte er sich selbst für seine Unbeherrschtheit ohrfeigen. Ich sehe ihn lange an und kann sein schlechtes Wissen in seinen Augen wachsen sehen. Es hat bereits die Größe der Rocky Mountains erreicht, als ich einen weiteren Schritt zurück mache. Ich verschließe mich davor und richte meine Gedanken auf Sharroll.
    „ Deine Bordkarte bitte“, gebe ich daher kalt und beherrscht zurück.
    Ungelenk fummelt er an seiner Anzugjacke und versucht sie mit klammen Fingern herauszufischen. Mit zitternden Händen hält er sie mir entgegen. All seine Kraft ist aus ihm gewichen.
    „ Danke.“ Ich drehe mich um und schreite auf die Tür zu.
    „ Christa?“ Die leise Melodie des entriegelten Türschlosses erklingt und ich drücke die Klinke herunter. „Es tut mir …“ Die Tür fällt ins Schloss und schließt ihn aus.
     
    Sofort schlägt mir der Geruch von nackten Menschen, körperlicher Liebe, Alkohol, Nikotin und „Koks“ entgegen. Ein unverkennbares Gemisch. Das Licht ist aus, doch die Geräuschkulisse malt ihre eigenen Bilder. Allerdings ist auch schon das eine oder andere Schnarchen darunter. Die Party scheint ihrem Ende entgegenzugehen. Ich schnuppere und vergewissere mich, dass ich richtig liege. Ja, es liegt eine Spur Chlor im Raum – warum auch immer.
    Der an sich ziemlich große Raum ist übersät mit ineinander verschlungenen Menschen. Man kann kaum erkennen, wo ein Körper anfängt und ein anderer aufhört. Ich seufze. Ja, die Wünsche von Bens Clique scheinen sich erfüllt zu haben. Vielmehr haben sie sich wohl eher selbst übertroffen.
    Du meine Güte, selbst in einem gut besuchten Swingerclub habe ich noch nie so ein Durcheinander gesehen. Vorsichtig bewege ich mich am Rand des Haufens vorbei, denn als etwas anderes kann man es tatsächlich nicht mehr bezeichnen. Wie gut, dass das Licht aus ist, denn ich habe keine Lust, all diese Körper näher zu betrachten. Je näher ich der Treppe, die in den ersten Stock hinaufführt, komme, desto schaler wird die Luft. Man könnte auch sagen: Es stinkt! Kurzentschlossen kippe ich zwei der Außentüren an, so dass frische Luft in den Raum dringt. Sollen sie sich doch eine Erkältung holen, selbst Schuld.
    Für einen Moment grinse ich in mich hinein. Wer auch immer morgen hier zuerst aufwacht und seine Moralvorstellungen unter Alkohol und Drogen zu suchen beginnt, wird sich sicher leise davonstehlen wollen. Meinen Geruchssinn verstärkend, suche ich im Dunkeln nach Ben. Die Fährte führt mich hinauf in den zweiten Teil der

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