Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
den Ereignissen noch völlig aufgewühlt und angegriffen ist.“
Danke Sully, zwei Daumen nach oben und von mir aus kriegst du auch die Congressional Medal of Honor oder zumindest einen Spuckorden.
Als ich die Tür mit leicht geknurrter Zustimmung ins Schloss geknallt habe, ist er, glaube ich, ein wenig zusammengezuckt.
Außerdem hat die ganze Sache noch einen weiteren, bitteren Nebengeschmack: Mein Geist kommt einfach nicht zur Ruhe und so wache ich nicht einfach erfrischt und wohlgelaunt auf, wie es normalerweise der Fall wäre. Oh nein – mein Bewusstsein macht haargenau da weiter, wo es am gestrigen Abend aufgehört hat. Nur leider brauche ich eine ganze Weile um genau das zu kapieren!
Mit einem lauten Schrei wachte ich auf. Es war dunkel in meinem Zimmer, selbst die Umrisse des Kreuzes konnte ich nicht sehen, aber ich wusste, es war da oben und starrte auf mich herunter. Ich zog mir die Decke über den Kopf und war dann irgendwann wohl wieder eingeschlafen, denn mein Vater rüttelte mich unsanft aus dem Schlaf. Er drückte mir etwas zum Anziehen in die Hand und sagte mir, dass ich mich beeilen sollte.
So schnell ich konnte, schlüpfte ich in die Sachen und ging durch unser Haus. Es war leer, selbst die Heiligenbilder waren fort. Ich verstand es nicht. Vor dem Haus stand ein großer schwarzer Van. Es war noch früher Morgen, am Horizont kamen gerade die ersten Sonnenstrahlen zum Vorschein und aus dem Fahrerfenster schaute Hunter zu uns herüber. Er lächelte.
Oh nein, da will ich ganz bestimmt nicht einsteigen. Alle meine Urinstinkte raten mir davon ab. Doch es nützt nichts.
Vater schob mich in den hinteren Ladeteil des Wagens, der mit vielen Kisten vollgestopft war, und ich begann zu verstehen, dass wir anscheinend umzogen. Aber wohin und warum so plötzlich? Ich versuchte es mir so gemütlich wie möglich zu machen und schloss die Augen. Als der Wagen anfuhr, wurde mir eines schlagartig klar: Wir verließen New Orleans! Auf Wiedersehen Tricia und Papa Joe. Mit neun Jahren trennte ich mich von allem, was mir bekannt und vertraut war. Ich weiß nicht mehr wie lange die Fahrt gedauert hat, aber es wurde wenig angehalten und wenn, dann nur um kurz Pause zu machen. Auf einer der Rasten traute ich mich dann Vater zu fragen, wohin wir fuhren. „Atlanta“, war seine kurze Antwort. Für mich klang das wie das Ende der Welt, und es ging immer weiter.
Genau wie diese dumme Schiffsfahrt, die auch immer und immer weitergeht. Benebelt versuche ich hochzukommen, doch mein Kopf lässt es einfach nicht zu. Plötzlich ertaste ich etwas Kleines und Kaltes: mein Mobiltelefon. Wie einen kleinen, sehr realen Rettungsanker umklammere ich es und versuche …
Ich weiß nicht wann, aber irgendwann blieb der Van wieder stehen und ich durfte aussteigen – ohne Mobiltelefon . Wir standen vor einem großen Backsteingebäude, das sicher schon mehr Jahre auf dem Buckel hatte als ich. Auf dem Dach des Hauses prangte ein großes Kreuz. Ach nicht doch. Wo zum Geier ist das blöde Mobiltelefon?!
Ein in schwarz gekleideter Mann kam uns entgegen. Vater und er wechselten ein paar kurze Worte. Ich könnte jetzt sicher einfach weglaufen, aber ein Blick in Hunters Gesicht zeigt mir, dass er nur darauf wartet . Vater drückte mich noch einmal und der andere Mann – Pater Lawrence – führte mich fort – schon wieder. Ich war viel zu verstört um zu begreifen, was hier passierte. Vater und Hunter stiegen in den Van und fuhren davon. Keiner von beiden drehte sich noch einmal um und schaute zu mir zurück.
Ich war allein mit Pater Lawrence. Er erklärte mir, das hier wäre der Internatsteil Santa Maria Elementary School in der Nähe von Atlanta. Ich verstand es nicht. Warum war ich hier, was sollte ich hier? Seine Antwort lautete: „Fernab von allen Lastern und Bösem deine Bildung vervollständigen. Auf Wunsch deines Vaters.“
Die nächsten fünf Jahre waren die reinste Hölle. Ich lernte sicher lesen, schreiben, rechnen und was man sonst noch so brauchte, aber das Leben an dieser Schule war bestimmt von kirchlichen Tagesabläufen. Dem Morgen-, Mittag-, Abend- und Nachtgebet. Auch sorgte mein Name allgemein für Belustigung und so mancher Lehrer zog mich bei schlechten Noten damit auf. Kurzum, ich lernte sehr schnell, mich alleine auf mich zu verlassen.
Trotz alledem fand ich dennoch eine Freundin auf der Schule: Samantha. Wir hatten vieles Gemeinsam, denn auch ihr Vater war Pfarrer und der Meinung, er
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