Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myrna E. Murray
Vom Netzwerk:
habe mich gerächt, und ich würde es ohne mit der Wimper zu zucken wieder tun …
     
    ENDLICH ist auch dieser Erinnerungsschub vorbei und ich bin wieder Herrin über meine Gliedmaßen. Manchmal frage ich mich wirklich, warum mein Unterbewusstsein das alles immer und immer wieder aufwühlt.
    Ich, Christus’ Rache – was für ein kolossaler Blödsinn. Aber früher war ich tatsächlich so drauf und ich bin zwar nicht stolz darauf, schäme mich aber dessen auch nicht.
    Wie immer bin ich einfach nicht ich selbst nach einem solchen Wach-Traum-Erlebnis. Außerdem geht mir gerade wieder auf, dass ich während meiner Tagruhe unzählige Male gestört worden bin. Sully fällt mir wieder ein, der sich so heldenhaft dafür eingesetzt hat, dass ich meine Ruhe bekomme. Dafür muss ich ihm unbedingt noch danken.
    Um wieder in Schwung zu kommen, trolle ich mich langsam und mit den Bewegungen einer verkrampften alten Frau unter die Dusche. Sie weckt meine Lebensgeister auf eine recht angenehme Art und trotzdem bin ich übel gelaunt, gereizt, launisch und vielleicht ein bisschen aggressiver als normal. Wer also der Meinung ist, er müsste heute unbedingt noch einmal ein Lächeln von mir haben oder mir in irgendeiner Art und Weise meine Zeit stehlen, muss wirklich sehr, sehr gute Gründe vorweisen können. Was spricht eigentlich dagegen, mich heute in meiner Kabine einzuschließen und so zu tun, als wäre ich nicht da?
    Zum einen, dass permanent das Telefon klingelt und ich tatsächlich kurz davor bin, es mit einem gut platzierten Schlag zu zertrümmern oder ihm, wie bei meinem Mobiltelefon bereits in den frühen Morgenstunden angedacht, einen Freiflug in die Tiefen des Ozeans zu verschaffen. Zum anderen hat wenigstens die Sicherheitsmannschaft des Schiffes einen „Schlüssel“ für die Kabine – und die Sicherheitsleute haben ganz unmissverständlich klargemacht, dass sie mich noch einmal sprechen möchten. Wieder geht mir auf, wie klein diese Nussschale tatsächlich ist und wie wenige Möglichkeiten ich habe, mich zu verbergen.
    Totstellen kann ich mich auch nicht, das würde richtig Aufmerksamkeit erregen. Also rein in den Businessdress, mein schönstes Lächeln anknipsen und mich der Meute stellen. Der Einfachheit halber wähle ich ein unaufdringliches beiges Outfit und flache Schuhe. Mit nichts kann man nichtssagender aussehen als in Beige. Rock, Weste, Jackett und damit es Spaß macht, am besten noch hautfarbene Unterwäsche. Aber das ginge zu weit. Das wäre dann so weit von mir selbst weg, dass ich ein Visum beantragen müsste.
     
    Eine Weile später habe ich alle Nachrichten gelesen, die mir Sully liebevoll auf dem Tisch vor der Rosenvase arrangiert hat. Ach, die Rosen. Ich seufze und stecke meinen Kopf kurzentschlossen mitten hinein. Ihr Duft umschließt mich und die Blütenblätter streifen sanft mein Gesicht. Das Wasser müsste allerdings langsam gewechselt werden.
    Noch einmal symbolisch Luft holend, das passende Handtäschchen geschultert und die Mitteilungen in chronologischer Reihenfolge sortiert, trete ich an die Tür. Dort schließe ich kurz die Augen, setze mein schönstes Lächeln auf und drücke die Klinke hinunter.
     
    Die Kabinentür öffnet sich brav und es passiert – nichts. Kein Blitzlichtgewitter, keine Massen davor, kein Beifall, keine Fähnchen, keine Blumen. Nur der leere Gang liegt vor mir und ich atme auf. Gleichzeitig werde ich misstrauisch. Wo sind all die Leute geblieben, die im Laufe des Tages so unablässig etwas von mir wollten?
    Viel interessanter: was tue ich jetzt? Hat sich die ganze Aufregung vielleicht gelegt und ich habe tatsächlich meine Ruhe? Ich drehe mich um und setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Es geschieht weiterhin – nichts. Ein kleiner Hoffnungsschimmer breitet sich in mir aus, der aber sofort wieder zerstört wird, als ich Sully plötzlich den Gang entlanghetzen sehe. Er steuert direkt auf mich zu, wie sollte es auch anders sein.
    „ Miss Ashton!“, ruft er nach Luft ringend.
    Ich kann nicht anders, ich muss einfach stehen bleiben. Wenn ich mich jetzt zurück zur Kabine drehe, schnell die Tür öffne und darin verschwinde? Würde er mir folgen?
    „ Miss Ashton, da sind Sie ja.“ Ich war zu langsam, verdammt!
    „ Hallo Sully“, begrüße ich ihn freundlich. „Danke, dass Sie mich vorhin vor der Menge gerettet haben.” Er lächelt mir zu. „Nichts zu danken, Miss. Ich habe auch Ihr Telefon abstellen lassen. Ich weiß doch, wie sehr Sie Ihre Ruhe

Weitere Kostenlose Bücher