Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
gerade und ist dabei wieder ganz die sorglose Malibu Barbie aus dem G32. Ein fröhlich piependes Küken, dessen Gemüt kein Wässerchen trüben kann. Es war beinahe zu einfach.
„ Ich werde jetzt Ben beruhigen gehen“, plaudert sie. „Bestimmt ist er außer sich, dass sie ihn eingeschlossen haben. Der Arme, er braucht seinen Freiraum.“
Ich lächele. „Ganz ohne Zweifel.“
Der Vorteil am gezielten Vergessenlassen der Leute ist der, dass man mit ihnen ganz wunderbar umgehen kann. Allerdings muss man sie danach für eine Weile wie kleine Kinder behüten, denn die veränderten Gedächtnisstrukturen sind noch brüchig.
„ Ich würde mich ja so freuen, wenn Sie zu meiner Hochzeit kommen könnten. Sie wird auf dem Landsitz der Woodenbrocks stattfinden.“
Ich bin amüsiert. „Oh, das kann ich Ihnen nicht versprechen.“
„ Wie schade.“ Plötzlich ändert sich ihr Blick.
Verschwörerisch winkt sie mich zu sich heran. „Glauben Sie, es ist sinnvoll, ihn noch eine Junggesellenparty feiern zu lassen?“
„ Naja, in Anbetracht der Vorfälle in der Silvesternacht …“ Verdammt! Ich beiße mir auf die Zunge, und Loren ist für einen Moment verwirrt.
„ Wieso? Es war doch nur ein Zusammentreffen unter guten Freunden? Was meinen Sie?“
Puh! Noch einmal Glück gehabt. Das Netz aus manipulierenden Gedanken, das ich um diese Erinnerung gelegt habe, hält.
Um mir meine kurzfristige Sorge nicht anmerken zu lassen, fahre ich in einem beschwörenden Ton fort: „Vielleicht sollten das die Männer unter sich regeln. Wir Mädchen haben dabei nichts zu suchen.“ Vor allem das Wort Mädchen betone ich sehr.
Sie kichert. „Da haben Sie recht. Vielleicht sollte man sie einfach machen lassen. Wer will schon wissen, ob sie sich eine Stripperin mieten.“
Ich nicke zustimmend. „Genau …“ … oder etwas anderes.
Als wir bei den Fahrstühlen in der Mitte des Schiffes angekommen sind, gebe ich ihr gedanklich noch ein, dass sie niemals in meiner Kabine war, geschweige denn deren Lage kennt. Wir sind gemeinsam die Treppen von Deck 12 bis hierher heruntergegangen . Sie nickt gehorsam und ich löse mich von ihrem Geist.
„ Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich habe eine Verabredung.“
Beinahe höre ich ihr Gezeter von nicht mal knapp einer Stunde vorher, doch nichts dergleichen kommt aus ihrem Mund. Im Gegenteil: „Ach, wie schön. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.“ Mit einem letzten Winken verabschiedet sie mich und ich wende mich den Stufen zu, die hinunter zum Deck 8 führen.
Erleichtert mache ich mich alleine auf den Weg, und während ich die Treppe hinunter- und dann den Gang zur Bibliothek entlanggehe, lasse ich erneut kurz unser Gespräch vor meinem geistigen Auge ablaufen. „Du hast Ben verdorben“, hatte sie gesagt. Ich grübele. Habe ich ihn verdorben oder habe ich einfach nur etwas in ihm freigelegt, das die ganze Zeit über da war? Ich meine, niemand verändert sich über Nacht oder dreht sich um 180 Grad in seiner Persönlichkeit. Das ist einfach nicht möglich.
Aber vielleicht ist es Teil meiner selbst, die Menschen dazu zu bringen, sich innerlich zu entblößen und mir ihre Seele zu zeigen. Mir, dem Raubtier. Ich kratze mich kurz am Kopf. Möglich ist es, denn immerhin arbeite ich damit, wenn ich die Menschen tätowiere. Was mich wieder zum eigentlichen Thema und meinem Treffen mit Cindy bringt. Was immer es ist, eigentlich ist es mir egal, denn es hilft mir bei meiner Arbeit und bei manchem mehr.
Der Vorraum der Bibliothek ist noch leer, als ich dort eintreffe. Also nutze ich die Gelegenheit und schlendere in die danebengelegene Buchhandlung.
Vorneweg ist natürlich der bordeigene Souvenirshop zu finden, der all die großen und kleinen Wünsche erfüllt, die man so haben kann. Dahinter sind einzelne Regale mit thematisch geordneten Büchern aufgebaut. Der Laden scheint gut sortiert zu sein. Ohne großes Interesse schlendere ich erstmal die Gänge entlang und sehe in die Auslagen. Fündig werde ich hier bestimmt, aber jetzt dient dieser Besuch erst einmal der Sondierung des Angebots. Soll ich einen exklusiven Bildband über das Schiff kaufen? Er sieht gut aus und die Bilder sind hochwertig verarbeitet.
Als ich zum wiederholten Male einen Blick in die Lobby der Bibliothek werfe, erkenne ich Cindy. Sorgfältig schließe ich das Buch und lege es zurück auf den Stapel der anderen Bildbände. Nicht dass mir der Händler noch erzählen will, ich hätte es
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