Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Sie immer noch sicher?“, frage ich sie und sie nickt.
„ Ich bin nur aufgeregt.“
„ Gut“.
Fachmännisch betrachte ich ihren Rücken und verschaffe mir einen Eindruck von seiner natürlichen Beschaffenheit. Sorgfältig studiere ich ihn wie eine Landkarte. Vor meinem geistigen Auge platziere ich die Skizze darauf und verschiebe sie so lange hin und her, bis das Bild mir gefällt. Als nächstes lege ich sorgfältig die schwarzen Handschuhe an und desinfiziere den Rücken. Das Mittel zieht ein und ich platziere dabei die Skizze. Dabei drücke ich sie leicht an, so dass sich die feinen Linien darauf abzeichnen.
Cindy bekommt eine Gänsehaut, als ich die Vorlage abziehe, mich mit gezücktem Skizzierstift neben die Liege stelle und freihändig die kleinen Ergänzungen mache, welche dem Bild seinen individuellen Schliff verpassen. Auch zittert sie jetzt ein wenig und ich bin mir unsicher ob es an der Temperatur in der Kabine oder an ihrer Nervosität liegt. Diese kleinen, unwillkürlichen Bewegungen sind es, die mir jetzt schon zeigen, dass auch dieses Werk einfach nur gut wird.
Dennoch brauche ich ein bisschen weniger Bewegung, um die letzten Ergänzungen machen zu können. „Liegen Sie ganz gemütlich“, weise ich sie an und die Spannung zwischen ihren Schulterblättern lässt ein wenig nach.
„ Brauchen Sie nicht die ganze Skizze?“, erkundigt sich Amanda. Ach ja, die gibt es ja auch noch. „Ich habe das mal im Fernsehen gesehen“, fährt sie fort, „und da haben sie alle eine vollständige Skizze gemacht und auf die Hautpartien übertragen.“
Ich nehme sie nur halb wahr, denn meine volle Konzentration ist bei Cindys Rücken und den Details, die dort mit sicheren Strichen entstehen.
„ Nein“, murmele ich etwas abwesend, „für diesen Teil der Arbeit brauche ich keine weitere Skizze. Diese Methode ist nicht schlecht, aber für mich ungeeignet. Zudem sind die wichtigen Orientierungspunkte gesetzt und Cindy hat sich bereits für eine Variante entschieden.“
„ Aha.“ Zu mehr lässt sich Amanda nicht verleiten. Vielmehr beobachtet sie mich mit Argusaugen.
Nach einer Weile habe ich die Skizze fertig und drehe mich zu ihr um. „Sehen Sie selbst.“ Mit einem herausfordernden Blick trete ich von der Liege zurück. Skeptisch kommt sie näher und blickt auf den Rücken. Ihre Pupillen weiten sich und nun liegt doch Anerkennung darin – geht doch!
„ Was siehst du?“, erkundigt sich Cindy, die nun auch neugierig ist.
„ Wenn Sie einen Spiegel haben, können Sie es sich ansehen.“
Während Cindy aufsteht, um die Skizze zu begutachten, schließe ich die Tätowiermaschine an das Verlängerungskabel an und setze eine sterile Nadel ein. Danach ziehe ich neue schwarze Latexhandschuhe über, und allein die vertrauten Handgriffe lassen in mir eine Vorfreude aufsteigen, wie ich sie nur bei der Ausübung dieser Tätigkeit verspüre.
Cindy kommt zurück. „Es sieht toll aus. Ich freue mich.“
Ich nicke und sie legt sich wieder auf die Liege. Mit einer geübten Bewegung setze ich die Maschine in Betrieb und das vertraute Summen klingt wie Musik in meinen Ohren.
„ Bereit?“
Sie nickt.
„ Entspannen Sie sich.“ Mit meinem Stuhl setze ich mich neben sie und tauche die Nadel in die schwarze Farbe.
„ Wird es wehtun?“, fragt Cindy verzagt und nun doch ein wenig aufgeregt.
„ Das wird es, allerdings nur ein wenig. Sagen Sie Bescheid, wenn es unerträglich wird, und wir machen eine Pause.“
Stumm und ergeben nickt sie noch einmal und ich beginne mit meiner Arbeit.
Cindys Haut ist gut geeignet. Sie hält die Farbe ohne Schwierigkeiten und die einzelnen Konturen lassen sich gut nachvollziehen. Auch blutet sie nur mäßig. Alles gute Voraussetzungen, um eine schöne Arbeit abzuliefern.
Als ich die ersten Stiche setze, vermischt sich ihr eigener Duft in Form ihres Blutes mit dem der Tinte. Dieser Geruch ist unverkennbar und er berichtet mir viel über den Menschen unter meiner Nadel.
Er spricht meist von den Höhen und Tiefen des Menschen, von seinen Stärken und Schwächen. Cindys Geruch ist vielversprechend. Beinahe wie ein gut abgeschmeckter Würzwein.
Ich mache mich vergnügt an die Arbeit. Beginnend an der schmerzhaftesten Stelle, habe ich das untere linke Schulterblatt anvisiert und mich bald bis zur Hüfte vorgearbeitet. Eine Flügelspitze der tanzenden Fee liegt direkt auf der empfindlichen Stelle über der Wirbelsäule.
Als ich diese erreiche, zuckt Cindy kurz zusammen,
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