Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
denn Satin wird sterben. Daran lässt sich nichts ändern.
Die Spannung lockert sich, als beide im Duett ihr Liebeslied singen „Come what may, I will love you until my dying day …“ Die Spannung im Saal löst sich in ein erleichtertes Seufzen auf und einige der Zuschauer fallen in den jubelnden Applaus mit ein, den das Stück im Film erntet.
Doch Obacht, wir sind noch nicht erlöst – das Drama kommt, unaufhaltsam, und es kommt jetzt. Obwohl ich das weiß, kralle ich mich doch in die Lehnen des Sessels. „Hol ’ doch mal jemand Hilfe!“ Christians verzweifelter Schrei dämpft die Stimmung im Kinosaal und nun sind doch einige Schluchzer zu hören. Ich halte mich zurück, ganz ehrlich. Aber leicht fällt es mir nicht.
Selten hat man so eine ästhetische Sterbeszene gesehen. So viel Gefühl und so viele geplatzte Träume. Es ist kaum zu ertragen, aber jetzt zu gehen wäre ein Sakrileg. Man muss es einfach mit Christian durchleiden, muss sich öffnen für seinen Schmerz, damit der eigene erkannt und verdaut werden kann. Sein Schrei der puren Verzweiflung spricht uns allen aus dem Herzen. Und auch wenn es kaum zu ertragen ist – würde ich jetzt das Kino verlassen, würde ich sein Schlusswort verpassen und die Situation bliebe unerträglich.
„ Aus Tagen wurden Wochen. Aus Wochen wurden Monate und eines Tages, es war kein besonderer Tag, nahm ich meine Schreibmaschine, setzte mich hin und schrieb unsere Geschichte auf. Eine Geschichte über eine Zeit, eine Geschichte über einen Ort, eine Geschichte über die Menschen. Aber vor allem eine Geschichte über die Liebe. Eine Liebe, die niemals enden wird. Ende.“
Diese letzten Worte versöhnen uns mit uns selbst und mit der Handlung des Films, die uns alle irgendwie ergriffen hat. Wenn auch jeden auf seine eigene Art. Der Vorhang schließt sich auf der Leinwand und der Abspann wird durch seichtes Klavierspiel eingeleitet. Jetzt hat es mich. Dieses leichte Klavierspiel gibt mir den Rest und es laufen mir doch ein paar Tränen über das Gesicht. Nur gut, dass ich vorsorglich etwas Dunkles angezogen habe. Blutige Tränen sind auch heute kein gutes Zeichen.
Ich wische sie weg und ziehe nach und nach meine Wahrnehmungsfilter wieder hoch. Es dauert dennoch den ganzen Abspann, bis ich sie wieder da habe, wo ich sie brauche – und irgendwie bin ich mir auch nicht sicher, ob sie richtig sitzen. Das ist eben der Preis, den man dafür bezahlt, sich selbst zu begegnen.
Erstaunlicherweise bleibt es sehr lange sehr ruhig im Saal. Nur wenige gehen ungerührt. Der größte Prozentsatz des Publikums bleibt sitzen und verdaut das gerade Gesehene. Oder sollte ich sagen, das Erlebte? Die mir bekannte Aura ist nicht mehr im Saal. Nanu? Haben wir dich gerührt? Beinahe lache ich bitter auf. Willkommen in meiner Welt.
Wie auch immer, der Film hat seine Spuren hinterlassen. Hat seinen Zuschauern erneut seinen Stempel aufgedrückt und so mancher wird sich gedanklich noch länger damit beschäftigen. Dessen bin ich mir absolut sicher.
Bevor der Abspann nun tatsächlich ganz durchgelaufen ist, mache ich mich doch auf den Weg hinaus. Ich habe nicht nur diesen Film gesehen, ich habe eine Entscheidung getroffen, das wird mir langsam mehr und mehr klar. Irgendetwas in mir hat die Dinge der letzten Nächte geordnet und neue Prioritäten gesetzt.
Sicheren Schrittes verlasse ich das Kino und mache mich auf den Weg zur Holyrood Suite. Es wird enden – hier und jetzt.
41. Ein letztes Mal
Natürlich wird Bens Kabine bewacht. Zwei Gorillas in schwarzen Anzügen stehen davor, allerdings fehlt die obligatorische schwarze Sonnenbrille. Dass sie die Kabine bewachen, war mir klar, aber gleich zwei? Ben ist zwar kein angenehmer Zeitgenosse, aber doch sicher nicht der Staatsfeind Nummer eins, oder? Ich verlangsame meine Schritte, die mich dennoch zielstrebig auf Bens Kabine zuführen, und überlege, wie ich vorgehen soll.
Zwei sind definitiv einer zu viel. Mit einem wäre ich notfalls geistig fertig geworden. Zwei stellen eine Herausforderung dar, der ich momentan nicht gewachsen bin. Ich laufe weiter auf sie zu, an ihnen vorbei und auf den anderen Flur. Sie sehen mir nach. Ich tue so, als hätte ich mich verlaufen.
„ Entschuldigung“, spreche ich sie an, während ich kurz in ihren Gedanken herumstochere. „Sollte hier nicht das Todd English Restaurant sein?“
Einer der Gorillas entgegnet freundlich: „Nein, Madam, das liegt auf Deck 8, ein Stockwerk
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