Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
der Wahrheit zwar nicht annährend nahe, aber es wäre eine letzte Möglichkeit.
Achselzuckend sehe ich Alex an. „Wo denkst du hin? So würde ich eine solche Angelegenheit niemals regeln.“ Nicht in das Gespräch verwickeln lassen, ermahne ich mich selbst, doch irgendetwas hat die Jukebox in meinem Kopf wieder aktiviert und ganz leise beginnt sie loszulegen. „Could you be a part of me? Could you be the one ? Where is all my confidence when everyone is gone.“ Ich versuche sie zu ignorieren.
„ Ach, wie denn dann?“ Die Ironie in seiner Stimme provoziert einen handfesten Streit.
„ Mit Charme“, gebe ich zurück.
„ Aha, du hast also Charme? Davon habe ich bisher noch nicht sehr viel gemerkt.“
Moment mal – als wenn er das abschätzen könnte. „Could you be a way for me? Could you be my choice? Silence is surrounding me, but still I hear your voice …” RUHE!
„ Fängst du jetzt an, mich zu analysieren, oder was?“, gebe ich gereizt zurück.
„ Nein, das brauche ich gar nicht. Du bist viel zu leicht zu durchschauen.“
„ Ich?“ Ein leises Schnauben entrinnt sich meiner „Ich bin leicht zu durchschauen?“
„ Ja“, ist seine kurze, aber knappe Antwort.
So nicht, mein Freund!
„ Also, wenn hier einer leicht zu durchschauen ist, dann bist du das ja wohl. Was sollte eigentlich das ganze Theater vorhin im Krankenzimmer? Ich wette mit dir, dass du dich nur von Ben hast einspinnen lassen, weil du seiner Schwester einen Gefallen tun wolltest.“
Seine Augen sprühen Blitze. „Die Wette hast du leider schon verloren“, entgegnet er ruhig. „Ben ist mein Klient und gleichzeitig mein Freund.“
So kann man sich natürlich auch rausreden.
„ Dein Freund, soso. Na, das ist ja ein toller Freund, der dich die Drecksarbeit machen lässt. Sei doch ehrlich: Du hast deine Prinzipien dabei verraten.“ Der Schlag sitzt, das kann ich in seinen Augen sehen.
„ Ich habe meine Prinzipien verraten?“, entgegnet er fassungslos.
„ Allerdings.“
„ Could you be just what I wanna see in you and we will make it through somehow.” Irgendwo muss es doch einen Not-Ausschalter für die blöde Jukebox geben.
Ein Moment der Ruhe entsteht.
„ Ich habe also meine Prinzipien verraten?“
Ich nicke energisch.
„ Und was ist mit dir?“
„ Was soll mit mir sein?“ Unsere Stimmen werden unwillkürlich immer lauter.
„ Du bist doch diejenige, die mit ihm geschlafen hat, oder?“
„ Komm mir jetzt nicht so!“ Ich halte die Luft an und er fährt fort.
„ Wenn hier jemand seine Prinzipien verraten hat, dann bist du es. Ich denke jedoch, dass du gar keine hast.“
Okay, es reicht! „Wie kannst du es wagen, so etwas zu sagen? Du weißt nichts über mich und du kennst mich nicht.“
„ Stimmt, doch das, was ich bisher gesehen habe, reicht völlig aus.“
Also, da hört sich doch alles auf.
„ Na, wie praktisch, dass du nur mein Anwalt bist“, gebe ich kalt zurück. „Als dieser hast du allerdings noch nicht viel für dein Geld getan.“
Okay, das ist nicht ganz richtig. Er hat schließlich die Papiere der Reederei geprüft, aber das tut gerade absolut nichts zur Sache.
„ So help me for the fuck of it. Won’t you be a part of it? Let me die or let me go until the very end of you…”
„ Wie auch, wenn du dich weigerst zu entscheiden, ob du meine Hilfe brauchst oder nicht.“
„ Ich und deine Hilfe brauchen? Ich komme gut alleine klar.“
„ Das sagt die Richtige! Wenn ich nicht verhindert hätte, dass dich tagsüber jemand stört, wärst du bereits zum Mittagessen zum Kapitän zitiert worden.“ Oh!
„ Ach ja?“
„ Ganz genau.“
„ Na, dann vielen Dank auch!“
„ Until the very end of me – Until the very end of you – Until the very end of us!”
Endlich hat es sich ausgejukeboxt und die Klänge verschwinden aus meinem Kopf. Der Subtext bleibt aber bestehen. In diesem Moment sehe ich ihn mit anderen Augen und mich auch. Zum allerersten Mal in meinem Leben habe ich das Bedürfnis, mich jemand anderem anzuvertrauen und auf ihn zu- statt von ihm fortzugehen. Leise horche ich in mich hinein und finde nur Stille.
Mein Jägerinstinkt, der sich mir meist in Form eines aufmerksamen Tigers präsentiert, schweigt und sieht mich mit großen Augen an. Bis eben hat er sich an der Auseinandersetzung erfreut und kampflustig die Zähne gebleckt. Jetzt scheint er jedoch friedlich, ja beinahe desinteressiert. Was soll ich jetzt bloß tun? Völlig hilflos stehe ich in dieser
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