Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
haben im Schnee durchaus ihre Vorteile –, die Satinhandschuhe abstreifte und das samtene schwarze Kropfband mit dem viktorianischen Anhänger aus Elfenbein ablegte.
Normalerweise hätte ich mir jetzt eine heiße Dusche mit anschließender Schönheitspflege gegönnt, doch der Abend war anscheinend noch nicht um. Okay, es war vielmehr mittlerweile beinahe vier Uhr in der Frühe. Eine Zeit, die für mich etwa im normalen Limit liegt, denn der Abend mit meinem Klienten war optimal verlaufen und wir hatten uns amüsiert. Auch war ich gut gesättigt und nun etwas träge.
Was Sie jetzt wohl denken? Beinahe muss ich grinsen, wenn ich mir überlege, welches Bild Sie von mir haben und wie es sich, einem kleinen Puzzle gleich, aus den wenigen Informationen zusammensetzt, die ich bisher von mir preisgegeben habe. Nur um das gleich hier klarzustellen: Ich bin keine Prostituierte, kein bezahltes Callgirl. Ich arbeite nur hin und wieder für exklusive Begleitdienste und verbringe den Abend mit kultivierten Männern oder Frauen, die Gesellschaft suchen oder sich diese einfach gönnen.
Das hat mit Prostitution ungefähr so viel zu tun wie eine Kuh mit dem Wiener Opernball – und es ist auch nur einer der Dinge, mit denen ich mir die Zeit vertreibe. Und ich habe viel davon. Aber weiter.
Mir langsam die Waden massierend, betrachtete ich immer noch den Brief und er starrte zurück. Ich war nicht verrückt oder so. Vielleicht ein bisschen müde, aber ich schwöre, dass der Brief tatsächlich zurückstarrte – auf seine Weise. Langsam ließ ich mein schmerzendes Bein sinken und nahm ihn in die Hand.
Das Papier war schwer und auf der Rückseite war ein Wasserzeichen eingelassen. Er war versiegelt. Wer verwendet denn heute noch solches Papier? Einem Impuls folgend, roch ich daran. Das Papier roch merkwürdig alt und ein bisschen nach Eisen. Plötzlich dämmerte mir etwas und ich stellte den Brief wieder zurück vor den Spiegel.
Beinahe empört stand er nun da und „beschwerte“ sich über die Missachtung. Es war beinahe so, als würde er darauf bestehen, gelesen zu werden. Doch erst einmal musste ich aus dem Kleid raus und … duschen. Der Brief schien empört. „Hey, ich verzichte schon aufs Baden deinetwegen. Da wird es ja wohl erlaubt sein zu duschen.“ Wieso sprach ich eigentlich mit dem Ding? Das Ganze hatte etwas Absurdes an sich, aber ich konnte mich einfach nicht dagegen wehren.
Kurzerhand drehte ich ihm den Rücken zu und verließ mein Zimmer in Richtung Bad. Das sich über zwei Etagen verteilende, geräumige Loft, in dem sich mein WG-Zimmer befand, lag im Halbdunkel. Es gefunden zu haben war Zufall und der reinste Glücksgriff.
„ Suchen unkompliziertes Individuum, mit Hang zur gemäßigten Extravaganz, zwecks Erweiterung unseres grenzenlosen Horizonts. Charakter und Stil darfst du gerne mitbringen“, hatte in der Anzeige gestanden, und ich weiß nicht mehr was es war, das mich so daran gefesselt hatte. Wahrscheinlich das schöne Wortspiel sich gegenseitig ausschließender Begrifflichkeiten – Phoebes Werk. Ich war neu im Big Apple und neugierig geworden.
Die erste Begegnung mit meinen zukünftigen Mitbewohnerinnen war genauso interessant gewesen wie das weitere Leben mit ihnen unter einem Dach. Es hatte viel weniger von dem angenommenen Verhör bezüglich meiner Lebensumstände, als erwartet. Sagen wir einfach: Es passte, und da ich damals nicht wirklich vorgehabt hatte, unendlich lange dort zu bleiben, war es mir recht gewesen.
Jetzt waren wir beinahe schon fünf Jahre zu viert hier: Zoe, Phoebe, Marge und ich. Länger als ich beabsichtigt hatte, und doch war ich nach wie vor zufrieden mit dieser Situation.
Wie gewöhnlich war es in Marges Zimmer dunkel und still. Die Arme musste wohl morgen wieder früh aufstehen. Ein Blick auf den großen Terminplan an der Eingangstür bestätigte mir, dass sie morgen Frühschicht hatte und deswegen wohl in gut einer Stunde aufstehen würde. Marge arbeitete als Hotelfachfrau in einem Vier-Sterne-Haus und hatte einfach ein zu gutes Herz.
Jemand wollte einen unbequemen Dienst loswerden? Marge nahm ihn bestimmt. Zoe und Phoebe schimpften regelmäßig mit ihr deswegen und versuchten ihr einzuimpfen, dass sie egoistischer sein sollte, doch bisher vergeblich. Ich hatte noch nicht versucht, sie diesbezüglich zu beeinflussen, denn ich dachte, sie sei einfach alt genug um zu wissen, was sie tat.
Mein Weg führte mich an Phoebes Zimmer vorbei, unter dessen Tür noch ein geringer
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