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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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dann: »Okay. Wir sehen uns wieder mal«, und ging. Sie ließ ein paar Minuten verstreichen, bis er weg war, dann kehrte sie in ihr Büro zurück.
    Das Archiv. Sie drehte die CD-ROM mehrmals um. Sie würde sie später ansehen. Sie überlegte, ob Greenhough wohl eine Kopie davon hatte und ob er etwas ausfindig gemacht hatte. Vielleicht sollte sie ihn noch einmal anrufen. Doch dann dachte sie, es gebe keinen Grund dafür. Eigentlich konnte sie es nicht verantworten, so viel Zeit auf diese Sache zu verwenden. Wenn sie eine Stunde freihatte, würde sie das Archiv durchsehen, ob ihr etwas auffiel. Sonst konnte sie nichts mehr tun, und würde es einfach vergessen müssen.
    Sie sah auf die Uhr. Um zwölf hatte sie eine Vorlesung. Also verdrängte sie die bedrückenden Gedanken und beschloss, den Rest des Vormittags, die wenige Zeit, die davon noch blieb, auf das Programm zu verwenden, das sie zusammen mit Luke ausgeheckt hatte. Aber sie kam nicht voran. Sie ging nur noch einmal die Teile durch, die sie schon getestet hatten, und hätte Luke beinah angerufen, entschied sich aber dann, es nicht zu tun. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Luke und Joannas Pläne und ihr bevorstehender Besuch bei Nathan – all das bedrängte sie. Am Abend zuvor hatte sie ihre Schwiegermutter angerufen und von ihrem Plan erzählt, bevor sie es sich anders überlegen konnte. »Ich bin so froh, Roz«, hatte Jenny gesagt.
    »Jenny, ich glaube nicht, dass es etwas ändern wird.« Roz konnte es nicht ertragen, dass sie sich falschen Hoffnungen hingab, und konnte es auch nicht verkraften, erneut ihre Enttäuschung und ihren Schmerz mit ansehen zu müssen. »Ich glaube nicht, dass er sich an mich erinnern wird.«
    »Das weiß ich.« Aber dass Jenny so schnell auf Roz' Zweifel einging, war bestimmt nur eine Ausflucht. »Pass auf, Roz, lass es uns versuchen. Und bring Fotos mit. Wir probieren es.«
    Während Roz daran dachte, schloss sie die Augen. Vielleicht konnte sie welche finden. Sie könnte die Fotos von Clifton Down mitnehmen, die sie an dem Tag aufgenommen hatten, als sie den verrückten jungen Neufundländer eines Freundes ausgeliehen hatten und mit ihm herumrannten, Frisbee spielten und auf dem Rasen wilde Scheinkämpfe ausfochten, bis sie erschöpft waren. Sie erinnerte sich, dass der Hund – wie hieß er noch mal – Nathans Fuß ins Maul genommen, ihn über das Gras geschleppt und dabei mit gespielter Wildheit geknurrt hatte. Roz hatte so lachen müssen, dass sie den Fotoapparat fast nicht halten konnte.
    Sie war erleichtert, als sie in den Hörsaal gehen konnte, wo ihr größtes Problem wahrscheinlich nur unaufmerksame Studenten sein würden. Sie hatte ihre Notizen zur Vorlesung nicht mehr durchgelesen, was sie sonst fast immer tat, aber sie hatte das Thema im Kopf. Sie wollte darüber reden, wie man aus der Art, wie jemand sprach, auf den Herkunftsort der Person schließen konnte. Diesen Teil der Vorlesung leitete sie immer mit dem Fall des Yorkshire Ripper und mit dem Tonband ein, auf dem die Stimme sagte – oder vielleicht vorlas, wie Roz immer dachte: »I'm Jack …« Sie sprach über den Akzent auf diesem Band und die feinen Nuancen, mit deren Hilfe man bestimmen konnte, ob der Sprecher aus der Gegend nördlich oder südlich des Tyne kam. Sie sah, dass sich eine Hand hob, und nickte dem Fragenden zu. Es war ermutigend, wenn Studenten sich während der Vorlesungen zu Wort meldeten, es zeigte, dass sie zuhörten und sich für das Thema interessierten. »Stimmt es«, sagte der junge Mann, »dass es gelang, ihn auf ein Gebiet innerhalb von ein paar Straßen einzugrenzen?«
    »Das ist behauptet worden«, sagte Roz vorsichtig. »Aber dafür würde ich lieber erst Beweise sehen – wie zum Beispiel die Person, die diese Bänder tatsächlich herstellte. Ich bin nicht überzeugt, dass man heutzutage jemanden so genau einer Gegend zuordnen kann.«
    »Aber ich dachte, sie hätten ihn gefangen?«, fragte eine Studentin, die vorn saß.
    »Nicht die Person, die die Bänder besprach«, sagte Roz. »Und das sollte man sich merken. Man kann bis ins Detail Recht haben, und es wird eventuell doch nichts helfen. Diese Bänder haben tatsächlich die Ermittlungen verlangsamt, und derjenige, der sie besprochen hat, wurde nie gefunden.«
    Als sie ins Büro zurückkam, klingelte das Telefon. Sie legte schnell die Notizen weg und nahm ab. Es war Marcus Holbrook. »Elizabeth hat mir ausgerichtet, dass Sie versucht haben, mich zu erreichen«, sagte er.

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