Nachtengel
Er klang verdrossen, und sie sah sein unzufriedenes Gesicht direkt vor sich.
Roz überlegte schnell. Sie wollte lieber ein Gespräch unter vier Augen führen, wo es schwieriger für ihn wäre, abzublocken. »Es ist wegen Gemma Wisharts Fragen«, sagte sie. »Danke für den Brief, übrigens.«
»Der nichts enthielt, das Sie nicht schon wussten, wie ich Ihnen ja gesagt hatte.«
»Ja. Professor Holbrook, ich muss mit Ihnen sprechen. Es ist etwas kompliziert. Ob Sie wohl kurz herüberkommen könnten?«
»Ich bin nur wegen einer Besprechung hergekommen«, sagte er. »Sie wurde in letzter Minute verschoben, sehr ineffizient. Heute Nachmittag habe ich keine Zeit.«
»Ich habe eine Kopie Ihres Archivs«, sagte Roz. »Und ich würde es mir wirklich gern zusammen mit Ihnen ansehen. Hätten Sie nach dem Meeting Zeit?«
Einen Moment war es still, dann hörte sie ihn seufzen. »Ich habe wirklich Besseres zu tun als … Na gut. Ich weiß nicht, wann es zu Ende sein wird, aber die Abteilung hier ist dann sicher schon geschlossen. Ich habe sowieso im Arts Tower zu tun, dann komme ich in Ihr Büro. Aber es wird wohl kaum vor halb sieben sein.« Damit beendete er das Gespräch und ließ Roz mit der Aussicht auf extra Überstunden zurück.
Hull, Freitagnachmittag
Es war nicht schwierig für Lynne, vor Celia Fry die nette Polizistin zu spielen. Sie hatte sich bei der Rezeption gemeldet und als Inspector Jordan vom Präsidium anmelden lassen, und Mrs. Fry kam nervös und verunsichert aus ihrem Büro gehuscht. Als sie Lynne sah, wurde sie ein bisschen lockerer. Wahrscheinlich hatte sie Farnham erwartet, der sie, wenn Lynne die Anzeichen richtig deutete, in die Mangel genommen hatte. Fry war eine kleine Frau, untersetzt, mit dick aufgetragenem Make-up. Offensichtlich dachte sie, sie werde es mit Lynne leichter haben als mit Farnham. Sie musterte Lynne und sagte: »Kann ich Ihnen helfen, Inspector …?«
»Jordan.« Lynne streckte ihr lächelnd die Hand hin.
»Inspector Jordan. Ich habe ziemlich viel zu tun, und ich glaube, es gibt nichts zu sagen, das ich Ihrem Kollegen nicht schon gesagt hätte.« Sie sah Lynne ungerührt in die Augen.
Lynne lächelte verständnisvoll. »Das glaube ich Ihnen«, sagte sie, »aber es gibt Probleme wegen dieses Zimmermädchens, dieser Anna Krleza.«
Frys Miene wurde angespannt und ärgerlich. »Ich kann Ihnen wirklich nicht weiterhelfen, Inspector. Anna war weniger als zwei Wochen hier. Wir haben zu wenig Leute in der Küche. Ich habe wirklich keine Zeit …«
Lynne wartete, bis die Frau fertig war, und lächelte weiterhin verständnisvoll. Fry schwieg schließlich, und Lynne sagte: »Ich verstehe gut, wie solche Dinge passieren können. Wir müssen uns nur vergewissern, dass in unseren Akten alles stimmt. Können wir irgendwo miteinander sprechen?«
Celia Fry führte sie in ein kleines Büro hinter dem Schreibtisch der Rezeption. Sie stieß die Tür zu, wies auf einen Stuhl, auf den Lynne sich setzen sollte, und zündete sich eine Zigarette an. Lynne bot sie keine an, sondern sah stattdessen auf ihre Uhr und sagte: »Ich kann Ihnen nur fünf Minuten geben. Ich bin sicher, dieser ganze Papierkram lässt sich irgendwann zu einer anderen Zeit erledigen.«
Lynne hatte die Aufforderung, sich zu setzen, ignoriert. Sie nahm ihr Notizbuch heraus und sagte: »Können Sie mir sagen, an welchem Datum genau Anna Krleza anfing, in diesem Hotel zu arbeiten?«
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte, und Fry nahm ab. »Was ist denn jetzt schon wieder?«, schimpfte sie. Intern, nahm Lynne an. »Na ja, er muss es eben irgendwie schaffen.« Sie legte auf. »Zu wenig Leute«, sagte sie übellaunig.
Lynne lächelte höflich. »Das Datum für Anna Krleza?«, fragte sie.
»Ich muss in der Buchhaltung nachsehen.« Fry fügte plötzlich aggressiv hinzu: »Ich kann mir ja nicht alles merken!«
»Lassen Sie mal sehen«, sagte Lynne hilfsbereit. »Sie hatte für Sie … wie lange gearbeitet, zwei Wochen? Und Sie haben die Leiche« – sie sah in ihrem Notizbuch nach – »am Freitag gefunden. Und das war der letzte Tag, an dem Anna Krleza hier arbeitete. Wir können also zwei Wochen zurückgehen. Hat sie an einem Montag angefangen?«
Celia Fry nahm einen langen Zug aus der Zigarette. »Ich erinnere mich nicht«, sagte sie wieder. »Ich werde in der Buchhaltung nachsehen müssen. Ich hab's Ihnen ja gesagt.«
Lynne seufzte. »Es gibt ein Problem, Mrs. Fry, denn ich habe die Information, dass Anna Krleza
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