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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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herunter. Ihr Gesicht war angespannt und voller Hoffnung. »Roz! Ich hatte es fast aufgegeben!«
    »Es tut mir Leid«, sagte Roz. »Ich hatte eine Panne. Ich bin mit dem Zug gekommen.«
    Nathan blickte seine Mutter erstaunt an. »Mum, ist alles in Ordnung? Du siehst …«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Alles in Ordnung, Nathan.« Ihr Blick suchte den von Roz, die leicht den Kopf schüttelte. Jenny Bishops Gesicht wurde schlaff und ausdruckslos. »Komm rein und setz dich. Ich mache uns Tee«, sagte sie mit tonloser Stimme.
    Plötzlich war Roz allein mit Nathan. Sie wusste nicht, was sie zu ihm sagen sollte. Als sie sich im Zimmer umsah, bemerkte sie etwas, das ihr bereits im Flur aufgefallen war: Es gab keine Spiegel. Sie erinnerte sich an den Spiegel über dem Kamin, aber er war durch ein Bild ersetzt worden. Sie hatte das Gefühl, einem Fremdem gegenüberzusitzen, dem heranwachsenden Sohn einer Freundin, und sagte heiter und aufmunternd: »Was machst du denn jetzt so, Nathan?« Sie wollte diesen sinnlosen Versuch einer Unterhaltung unterdrücken, aber die Worte brachen, ein Ausdruck ihrer Nervosität, aus ihr heraus.
    Er war hilflos. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich weiß nicht.« Und einen Augenblick sah sein Gesicht traurig aus.
    Hull, Samstag
    Zum ersten Mal waren in der Beratungsstelle Menschen, die Hilfe suchten. Zwei Männer und eine Frau standen am Schalter. Nasim Rafiq sprach schnell in einer Sprache, die Lynne nicht kannte, und notierte sich, was einer der Männer ihr sagte. Lynne fing ihren Blick auf, als sie den Raum betrat. Rafiq sah schnell zur Tür und wies nickend auf einen der Stühle. Warten Sie.
    Lynne war sich der Blicke bewusst, die auf ihr ruhten, aber sobald sie aufsah, schauten alle zu Boden. Die Unterhaltung am Schalter, die in Lynnes Ohren schnell und abgehackt klang, ging weiter. Dann verließ die Gruppe, ohne zu lächeln, die Beratungsstelle, Broschüren und Zettel in der Hand, auf die Rafiq etwas geschrieben hatte. Sie sahen Lynne nicht an, sondern hielten, als sie an ihr vorbeikamen, den Blick gesenkt. Lynne war allein mit Nasim Rafiq. »Heute Nachmittag sind Sie beschäftigt, Mrs. Rafiq«, sagte sie.
    »Nicht viel Arbeit.« Rafiq machte eine wegwerfende Geste und winkte Lynne, mit ihr in das andere Zimmer zu gehen. Lynne folgte ihr, und Rafiq zog sich hinter ihren voll beladenen Schreibtisch zurück.
    Lynne hatte sich die Fragen, die sie stellen wollte, gründlich überlegt und war zu der Ansicht gelangt, dass Rafiq wahrscheinlich eher auf ein direktes Vorgehen reagieren würde. Sie lächelte und sagte: »Mrs. Rafiq, ich hoffe, ich werde Sie nicht lange aufhalten, aber ich brauche noch mehr Informationen.« Die andere Frau sagte nichts, wartete ab. »Als ich vor kurzem hier war, fragte ich Sie nach einer jungen Frau, Anna Krleza. Ich wollte wissen, ob Sie sie gesehen haben. Sie haben mir die Frage nie beantwortet.«
    Rafiq saß still da, eine kleine Falte zwischen den Augenbrauen. »Viele Leute«, sagte sie, nachdem sie kurz nachgedacht hatte. »Manchmal, sie kommen einmal, zweimal? Namen …?« Sie breitete die Hände aus, Hilflosigkeit andeutend. Wie soll ich mich an alle erinnern? Aber sie hatte die Frage noch immer nicht beantwortet.
    »Mrs. Rafiq, erinnern Sie sich an Anna Krleza?«
    »Ich erinnere mich nicht.« Sie sprach die Worte mit bleischwerer Gewissheit aus.
    Lynne hatte das sichere Gefühl gehabt, dass die Frau vielleicht Ausflüchte machen, aber auf keinen Fall lügen würde. Diese entschiedene Antwort überraschte sie. Vielleicht kannte Rafiq Krleza wirklich nicht. Es war möglich, dass nur Pearse mit ihr zu tun gehabt hatte. Pearse nutzte seine Kontakte zu den Hotels, die Obdachlose beherbergten, um Arbeit für Leute ohne gültige Papiere zu finden. Während sie darüber nachdachte, betrachtete sie noch einmal den ganzen Raum, den Schreibtisch, die Regale mit Schachteln voller Merkblätter, das Telefon, die Adressenliste mit Telefonnummern an der Wand.
    Sie stand auf und ging näher an die Liste heran. Sie war in Rubriken nach Ärzten, Krankenhäusern, Vermietern, Hilfeleistungen und Wohlfahrtsverbänden aufgegliedert. Aber außerdem waren auch Telefonnummern neben den Rubriken an den Rand gekritzelt. Und es gab eine Nummer, die sie wiedererkannte und die in einer anderen Handschrift als in Nasim Rafiqs sauberer, sorgfältiger Schrift notiert war. Als sie in ihrem Notizbuch nachsah, fand sie bestätigt, dass es die Nummer des Blenheim Hotels war.
    Sie wandte

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