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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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reinkommen?«
    »Ja.« Sie blickte ihm über die Schulter, es war niemand da.
    »Haben wir dich aufgeweckt? Das tut mir Leid. Nasim ist nach Hause gegangen. Sie macht sich Sorgen. Jemand hat uns besucht.«
    »Die Polizei?«, fragte sie.
    Er seufzte und nickte. »Du hast uns gehört. Ja. Sie suchen jemanden.« Ihre Kehle war trocken, sie stieß einen fragenden Laut aus. »Ein schweres Verbrechen ist verübt worden. Ein Mord, ich weiß nicht genau …« Er beobachtete ihr Gesicht, während er sprach.
    Kalt. Ihr war kalt. »Jetzt?«, sagte sie. »Heute ein Mord?«
    Er schüttelte den Kopf. »Vor einiger Zeit. Ich weiß nicht.« Ein Mord. Diese Frau in der Badewanne. Jetzt wurde der Duschvorhang zurückgezogen, und sie sah das zerschlagene Gesicht und die Flecken auf der grauen Haut. Sie zitterte. »Bist du in Ordnung?« Er sorgte sich. »Ich hole dir noch eine Decke.«
    Er wartete auf eine Antwort, dann sagte er. »Du musst mit jemandem sprechen, Anna. Ich kenne Leute, auf die du dich verlassen kannst. Ich habe mir deinen Fall genau überlegt. Ich kenne jemanden, der dir vielleicht helfen kann, aber du musst mit ihm sprechen.«
    Hier bleiben, mit einer Arbeit und Papieren und einem Zimmer, wo sie wohnen konnte. Es war ein schöner Traum gewesen, aber es war zu spät. Mord. Es war egal, ob es Angels Freund oder die Frau im Hotelzimmer war. Die Polizei glaubte, dass sie es getan hatte. Sie war eine Prostituierte, eine Diebin und eine Mörderin. Es war zu spät. »Ja«, flüsterte sie. »Danke.«
    Unten klingelte das Telefon. »Ich muss drangehen«, sagte er. »Es könnte dringend sein. Ruh dich aus. Wir reden morgen Früh.«
    Sie legte sich wieder hin. Er hatte die Tür nicht richtig zugemacht, und sie ging von allein wieder auf. Sie konnte ihn am Telefon sprechen hören. Die Worte konnte sie nicht verstehen, aber seine Stimme klang gelassen, als rede er mitten in der Nacht beruhigend auf jemanden ein, der sich Sorgen machte. Nach dem Anruf kam er nicht wieder herauf. Sie wartete, bis alles still war, dann glitt sie von der Couch. Ihre Sachen, das Wenige, das sie hatte, waren in einer Plastiktüte, die an der Tür stand. Sie zog die Kleider an, die Nasim ihr gegeben hatte, die Jeans, das T-Shirt, die Socken und Schuhe. Ihre Jacke war noch feucht und schmutzig von ihren Nächten auf der Straße, aber sie war besser als nichts. Sie klemmte sie unter den Arm und horchte an der Tür. Stille.
    Sie schlich die Treppe hinunter, blieb stehen und horchte. Als sie die unterste Stufe erreichte, knarrte das Holz, und sie erstarrte vor Schreck, aber niemand kam. Die Tür zum Hinterzimmer unten war angelehnt. Sie näherte sich vorsichtig und spähte hinein. Es war leer, aber auf dem Tisch lag eine Tüte. Sie schlüpfte ins Zimmer und sah in die Tüte. Belegte Brote, Käsebrote. Sie steckte sie ein. Es würde nur einen Tag dauern. Sie brauchte nur eine Busfahrkarte nach London, aber sie musste realistisch bleiben, denn sie würde etwas Geld für Essen und eine Unterkunft brauchen. Wenn sie erst einmal woanders war, konnte sie überleben. Niemand würde sie finden.
    Sie glitt durch die Tür, die in den Hof führte, und erinnerte sich an Nasims Gesicht, während sie Anna vom Fenster aus beobachtet hatte. Komm aus der Kälte herein! Sie würde die beiden enttäuschen, Nasim und Matthew, sie würden es nicht verstehen, wenn sie herausfanden, dass sie gegangen war, und sie konnte es ihnen nicht erklären. Der Hof war stockdunkel, der Boden aufgeweicht. Vorsichtig suchte sie den Weg zum Holztor an der Mauer, das sie sich erinnerte, gesehen zu haben. Ihre Hände tasteten an den feuchten Backsteinen des Schuppens entlang bis zur Mauer und zum Tor. Oben und unten waren Riegel. Als sie sie berührte, zuckte sie vor den Spinnweben und den altern Farbresten zurück, die an ihren Fingern hängen blieben. Die Riegel selbst waren gut geölt und ließen sich leicht öffnen. Sie schloss das Tor fest hinter sich.
    Die Nacht war kalt, aber als sie den Weg entlang und dann weiter in die nächtliche Stadt lief, brach ihr der Schweiß aus.
    Sheffield, Samstagabend
    Roz' Rückfahrt war trostlos, kalt und unbequem. Der Zug ratterte und rumpelte, die Heizung funktionierte nicht, und es wurde immer kälter. Es kam kein Wagen mit Erfrischungen, deshalb konnte sie sich nicht mit einem heißen Getränk wärmen oder mit einem Bier trösten. Der Tag lief vor ihrem inneren Auge ab und vermischte sich mit Erinnerungen an die Vergangenheit, die nur schmerzlich sein

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