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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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konnten. Wenn Nathan gestorben wäre, hätte sie vielleicht jetzt auf diese Erinnerungen zurückblicken und sich an dem Glück freuen können, das sie zusammen gehabt hatten. Aber jetzt, wo Nathan wie eine Fliege im Bernstein in seiner ewig währenden Gegenwart gefangen war, gab es nur bittere Erinnerungen.
    Sie wollte nur eines: Luke sehen und ihm erzählen, was sie heute erlebt hatte. Und sie wünschte sich, dass er seine Arme um sie legen und unbeschwert über Schuld und Buße, über Astronomie und Mathematik und über Zeit und Ewigkeit reden möge. Er würde ihr sagen, dass sie keine Schuldgefühle zu haben brauchte, und es ehrlich meinen. Er würde Dinge sagen wie: »Was hast du als Nächstes vor, Bishop? Auf dem Wasser wandeln?« Sie hatte eigentlich nicht geplant, den ganzen Weg zu ihm hinauszufahren, sobald sie zurück war, es war mehr eine Art Wachtraum, um die quälende Fahrt zu überstehen. Aber als sie nach Sheffield kam und sich nach einem Taxi umsah, fiel ihr an der Haltestelle vor dem Bahnhof der Bus ins Auge, der zu Luke hinausfuhr. Ein Vorzeichen. Sie lief im strömenden Regen durch die Pfützen und schaffte es gerade noch zum Bus, bevor der Fahrer abfahren wollte. Betont geduldig saß er da, während sie in ihrer Tasche die Geldbörse suchte und dann die Münzen für den Fahrschein hinzählte.
    Luke wohnte in einem der Vororte am Rande des Moors, einer hoch gelegenen, düsteren Gegend, wo es im Winter Schneeverwehungen gab und die Busse manchmal stehen bleiben mussten, bevor sie die letzte Höhe erklommen. Als der Bus durch den Regen pflügte, drückte Roz ihr Gesicht gegen die Scheibe, um zu erkennen, wann sie aussteigen musste. Sie waren fast an der Endstation angekommen, und sie erkannte im Vorbeifahren Lukes gebogene Straße mit älteren Häusern und Vorgärten.
    Es hatte aufgehört zu regnen, und sie eilte von der Bushaltestelle den Hügel hinunter, an den Steinmauern vorbei, von denen immergrüne Pflanzen herabhingen, deren nasse Blätter ihr Gesicht streiften. Sie erreichte die Kreuzung zu Lukes Straße und wurde sich mit einem flauen Gefühl bewusst, dass sie unüberlegt gehandelt hatte. Es war Samstagabend. Luke war vielleicht ausgegangen, oder er könnte jemanden bei sich haben. Oder … Aber es brachte nichts, sich diese Fragen zu stellen. Sie war nun mal hier. Das Haus, das zu vier Einzimmerwohnungen umgebaut war, lag auf der anderen Straßenseite. Lukes Wohnung befand sich im Erdgeschoss, links neben der Haustür.
    Sein Fenster war dunkel, aber der Schuppen, wo er sein Motorrad abstellte, war mit einem Vorhängeschloss gesichert, also war er vielleicht zu Hause. Sie klingelte, dachte aber dann daran, dass die Klingel wahrscheinlich nicht funktionierte, und klopfte ans Fenster. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn er nicht da war. Sie hatte nichts geplant. Sie klopfte noch einmal an die Tür.
    »Okay, schon gut.« Licht ging auf der anderen Seite der Tür an, und Erleichterung trat an die Stelle ihrer Nervosität, als sie seine Stimme hörte. »Verdammt, es ist nach …« Er riss ungeduldig die Tür auf. Einen Moment war es still. »Roz.«
    »Hallo, Luke.« Sie sahen einander an. »Kann ich reinkommen?«, fragte sie. »Ich weiß, es ist spät. Tut mir Leid.«
    Er trat zurück, und sie ging in den Flur. Nach der Kälte draußen fühlte sie die angenehme Wärme des Hauses. Er stieß die Tür zu seiner Wohnung auf und schloss die Haustür hinter sich. Er trug Jeans und einen schwarzen Pullover, war aber barfuß. Sie dachte, sie hätte ihn vielleicht aufgeweckt, aber es lief leise Musik, ein charakteristischer süßlicher Geruch in der Luft verriet, dass er Gras geraucht hatte, und sein Computer war eingeschaltet. Der Bildschirm war zur Seite gedreht, aber sie konnte einen dunklen Hintergrund und flimmernde Buchstaben sehen. Schwere Vorhänge waren vor das Fenster gezogen, sodass kein Licht nach draußen drang.
    Er ging zum Rechner und fuhr ihn herunter, der Bildschirm wurde dunkel. Dann lehnte er sich an die Wand und sah sie an. »Also, Roz. Was kann ich für dich tun?« Er sprach so unverbindlich-höflich wie sonst zu Joanna.
    Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte, sie hatte sich nichts überlegt. Sie hatte ihn einfach nur sehen wollen, brauchte den leichten Umgangston, an den sie gewöhnt war, und die Art und Weise, wie sie sonst immer auf die Stimmung des anderen eingingen. »Ich wollte nur …« Sie wusste nichts zu sagen, ihr Kopf war einfach leer. Schließlich sagte sie:

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