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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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»Ich … wollte gern wissen, ob du diese Dateien angeschaut hast, Gemmas Dateien. Ob du etwas gefunden hast.«
    Er sah auf seine Uhr. »Deine Begeisterung ist ja sehr löblich, Roz, so spät mit Fragen zur Arbeit hier vorbeizukommen. Nein, ist die Antwort. Ich habe nichts gefunden. Und der Grund, warum ich nichts gefunden habe? Es gab nichts zu finden.«
    Sie hatte nach den Ereignissen des Tages vergessen, wie aufgebracht er gewesen war. Sie wollte erklären, aber bei seiner Frage, mit der er sich höflich erkundigte, was sie wolle, war Reden, wirkliches Reden, schwierig. Verzweifelt suchte sie nach einem Thema. Sie musste das Eis brechen. »Joanna …«, fing sie an.
    »Hör mal zu, Roz. Mir steht's bis hier oben mit der Grey. Einer der großen Vorteile meines jetzigen Lebens ist, dass ich nichts mit ihr zu tun habe. Diese Wohnung ist eine absolut Grey-freie Zone, okay? Also, was immer es ist, erzähl es einem anderen, ja?«
    »Okay. Ich dachte, dass du vielleicht wissen wolltest, was sich in der Arbeit tut. Wenn nicht, na gut …« Ihre Stimme verlor sich in seinem Schweigen. »Was machst du da?« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf den Computer, den er ausgeschaltet hatte.
    Er sah sie lange an. »Tja, Roz, bin noch am Überlegen. Ich dachte, ich könnte einen Callgirl-Ring einrichten. Oder auch eine Frau totschlagen, sie wie einen Truthahn vom Schützenfest zusammenbinden und irgendwo in eine Badewanne legen. Was hältst du davon?«
    »Ach, mein Gott, Luke, hör doch auf!« Sie hatte ihn oft genug erlebt, wenn jemand bei ihm Wut oder Verachtung ausgelöst und er aus der Gelassenheit plötzlich feindselig geworden war. Er tobte gewöhnlich herum und erzählte von der Person, die ihn beleidigt hatte. »Mein Gott, Roz, was hast du denn mit der blöden Zicke?« Er sah sie an, seine Feindseligkeit war unverkennbar. Sie dachte an die höfliche Maske des Nichtverstehens bei Nathan, an die Tränen in Jennys Augen, als sie darüber sprach, dass sie ihn ins Heim zurückbringen würde. Sie hörte Nathan sagen: »Ich weiß nicht …«, sah den plötzlichen Schrecken in seinen Augen, bevor sie jeden Ausdruck verloren. Ich bin zu müde, für solche Spielchen, Luke!
    »Ich wollte nur sagen, dass es mir Leid tut.« Sie sah ihn an und versuchte, seine Reaktion abzuschätzen. Er schwieg, blieb einfach da stehen, wo er war, und beobachtete sie mit höflicher Erwartung. »Ich habe dir ja gesagt, ich wusste nicht … was mit Gemma passiert war. Ich habe nie wirklich geglaubt … Aber wenn ich es gewusst hätte, dann wäre ich sicher gewesen, dass du es nicht getan haben konntest … Das ist alles. Wenn du darüber nachgedacht hättest, wäre es dir klar geworden.« Sie war jetzt wütend auf ihn, und die Wut machte es leichter, mit seiner Feindseligkeit klarzukommen.
    Er zuckte die Schultern. »Okay. Du hast deine Frage nach den Dateien gestellt und gesagt, dass es dir Leid tut. Sonst noch was?«
    »Luke …« Sie wollte es nicht dabei bewenden lassen.
    Er ging zur Tür und machte sie auf. »Hat es sich angehört, als ob ich mit dir reden will, Roz?«
    Also gut, wenn er das wollte. »Ich gehe ja schon.«
    Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Tür hinter sich zuzuschlagen. Halb war sie schon den Weg hinunter, als sie merkte, dass es wieder regnete. Ihre Jacke war nicht wasserdicht, und sie hatte keinen Schirm dabei. Na ja, das machte nichts. Dann würde sie eben nass werden. Sie lief auf der Straße zur Bushaltestelle zurück und spürte, wie der Regen an ihrem Nacken hinunterrann. Scheißkerl! Luke mit seinem hartnäckigen Stolz, seiner Arroganz und seinen Launen, sollte er ihr doch einfach gestohlen bleiben!

16
    Hull, Samstagabend
    Anna musste immer weiterlaufen. Die Straßen der Stadt zogen an ihr vorbei, Autos und Lichter auf den großen Hauptverkehrsstraßen, leere Gehwege und dunkle Winkel in den Seitenstraßen. Anna, die nicht wusste, wohin, die keinen Plan, keinen Unterschlupf, keine Freunde hatte. Sie hielt den Blick auf den Boden gesenkt. Ihr Kopf war leer, er verweigerte das Denken. Nur weiter. Sie war schon einmal hier entlanggekommen, vielleicht vor einer Stunde, und befand sich jetzt auf der Straße zwischen Stadtmitte und Hafen. Irgendwo würde sie eine ruhige Stelle finden, wo sie sich hinsetzen und nachdenken konnte.
    Dann gelangte sie in ruhigere Straßen. So weit hier unten war sie noch nie gewesen. Hier waren Leute. Eine Frau in kurzem Rock und abgeschnittenem Top ging langsam ganz am Rand des

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