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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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sich auf dem Rücksitz zusammen und beugte den Kopf nach vorn. »Lass dich nicht sehen«, warnte er sie. »Falls die Polizei dich sucht.« Sonst sagte er nichts und fuhr weiter. Sie hörte das Motorengeräusch, wie er den Gang wechselte, rutschte nach rechts oder links, wenn er in die Kurven fuhr, und sah, wie die Straßenlaternen sich über ihrem Kopf drehten und vorbeizogen. Er schien durch kleine Nebenstraßen zu fahren und die größeren zu meiden. Dann machte der Wagen einen Satz und holperte wie auf einem ausgefahrenen Weg. »Das ist schon in Ordnung«, sagte er leise. »Ich bringe dich zur Beratungsstelle zurück, aber wir fahren von hinten heran.«
    Sie erinnerte sich an den unebenen Weg, über den sie bei ihrer Flucht gerannt war. Sie hatte nichts erreicht, hätte bleiben und ihm alles erzählen und seine Hilfe annehmen sollen, wenn er ihr helfen konnte. Anna hatte es satt, immer wegzulaufen. »Es tut mir Leid«, sagte sie.
    »Anna …« Seine Stimme klang müde. »Du bist nicht schuld an dem, was dir passiert ist.« Er bremste und hielt an. Es gab kein Licht, und im Auto war es stockdunkel. Er sprach leise. »Ich konnte vorn niemanden sehen, als ich vorbeifuhr. Es ist niemand hier. Pass auf, Anna, ich will es nicht riskieren, dich wieder dahin zu bringen, wo du gewesen bist. Es gibt daneben einen Raum, er ist nicht schön – es tut mir Leid, aber ich habe ihn schon öfter benutzt.«
    Er parkte das Auto dicht an der Wand hinter der Beratungsstelle und half ihr heraus. Das Mondlicht ließ die Wand schwach schimmern, aber das Auto stand im Schatten. Er stieß das Hoftor auf und führte sie zu der hohen Wand des leer stehenden Lagergebäudes. Sie konnte sich an die vernagelten Fenster und zerbrochenen Scheiben erinnern. Dann hörte sie gedämpfte Geräusche, etwas wurde hochgehoben, ein leises angestrengtes Stöhnen, er atmete schwerer. »Matthew«, flüsterte sie.
    »Ist schon gut«, sagte er und keuchte. »Es ist nur ein bisschen schwer. Die Bretter vor der Tür hier – man kann sie abnehmen.« Er schwieg einen Moment, und sie hörte, wie er tief durchatmete.
    Sie dachte an seinen krummen Rücken und seinen schwerfälligen Gang. »Lass mich helfen«, sagte sie.
    »Es ist schon fertig, Anna.« Sein Atem ging wieder regelmäßig. »Komm.«
    Sie spürte kalte Luft im Gesicht, als er mit ihr durch das schwarze Loch ging, das den Eingang darstellte. Stufen führten nach unten. Er hielt sie am Arm. Sie hörte, dass eine Tür auf- und wieder zuging, das Geräusch, wie ein Streichholz angezündet wurde, und als es aufflammte, roch es scharf nach Schwefel. Sie sah, dass er das Gesicht von ihr abgewendet hatte, schmale Fliesen, dann erlosch das Streichholz. »So«, sagte er. Und dann ging ein helleres Licht an. Er sah sie im Schein der Sturmlaterne lächelnd an.
    Sie war in einem kleinen Raum – fast nur ein Schrank unter der Treppe. An den Wänden waren schmale weiße Fliesen und der Boden war mit Steinplatten ausgelegt. An einer Wand stand eine Bank mit einer Matratze. Daran grenzte ein winziger Raum, in dem tief unten an der Wand ein Waschbecken mit einem Wasserhahn und einem Eimer war. Der Korridor führte an dem Raum vorbei und lief auf eine Tür zu. Er legte seine Hand über die Laterne, um das Licht zu dämpfen, und zog die Tür auf, die in die Dunkelheit führte. Sie hatte das Gefühl, ein weiter Raum läge vor ihr. »Wo …«
    »Es ist der Keller unter dem Lagerhaus«, sagte er. »Aber sei vorsichtig, wenn du hier durchgehst. Hinten führt der Weg vorbei. Jemand könnte dich hören, wenn du ein Geräusch machst. Es ist sicherer, hier drinzubleiben.«
    Sie saßen zusammen in dem kleinen Raum, und er warf ihr ein besorgtes Lächeln zu. »Erzähl mir, was passiert ist, Anna«, bat er.
    Und dann erzählte sie ihm alles. Sie saßen sie in der Dunkelheit, und er hörte ihre Geschichte über Angels Freund, wie sie nach ihm geschlagen hatte, und von dem gestohlenen Geld. Sie erzählte ihm von der Frau in der Badewanne und dass sie fliehen musste. Sie hörte, wie er kurz die Luft anhielt. »Du hast gesagt – Polizei. Sucht mich«, sagte sie. »Ein Mord. Ich …« Ich musste fliehen!
    Als sie zu Ende gesprochen hatte, saß er schweigend da, die Hände zwischen den Knien und den Kopf gesenkt. »Ich wollte, du hättest mir das gleich am Anfang gesagt, Anna«, sagte er. Sie nickte. Das hätte sie tun sollen. Wieder hatte sie sich von ihm helfen lassen, bevor er wusste, was sie getan hatte. Aber seine Stimme war

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