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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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sanft. »Du hast getan, was du tun musstest, Anna«, sagte er. »Hör zu, bei dem Mord – ging es nicht um den Mann …« Ekel schlich sich in seine Stimme. »Dieser – Mann, der dir wehgetan hat. Du bist nur Zeugin, Anna, das ist alles. Weil du die Frau im Hotel gefunden hast.« Sie war erleichtert.
    Er nahm ihre Hand. »Pass auf, Anna, du wirst zur Polizei gehen müssen. Nein, hab keine Angst. Du hast nichts Schlimmes getan. Aber deine Papiere … ich werde die Person aufsuchen, die dir helfen kann. Er wird Rat wissen.« Er sah wieder besorgt aus, und sie spürte, wie die Angst sie überfiel. »Es ist jetzt Wochenende. Ich muss nach … Es wird eine Weile dauern. Und zuerst muss ich ihn finden. Anna, vielleicht musst du lange warten. Es kann sein, dass ich über Nacht weg bin. Hier« – er zeigte auf eine Plastiktüte, die er auf das provisorische Bett gelegt hatte – »ist etwas zu essen drin: Schokolade, Erdnüsse. Und am Wasserhahn kannst du Wasser holen. Es ist hier leider ein bisschen …« Sie sah, dass er verlegen war. »Es gibt kein … nur einen …«
    Sie verstand, was er sagen wollte, und eine Welle der Zuneigung erfasste sie, weil er, nach allem, was geschehen war, ihretwegen in Verlegenheit war. Sie lächelte ihm zu. »Da ist Eimer«, sagte sie.
    Er errötete und nickte. »Es wird schon gehen, Anna«, sagte er. »Ich hab auch schon hier übernachtet.« Und dann verließ er sie.
    Roz kämpfte sich durch den Sturm zur Bushaltestelle, die an der windigsten Stelle oben auf dem Hügel war. Der schneidende Wind fuhr durch ihre Kleider, und die Feuchtigkeit ließ sie zittern. Sie hatte bei dem abrupten Aufbruch aus Lukes Wohnung ihre Handschuhe liegen lassen, und ihre Finger begannen vor Kälte zu schmerzen. Sie steckte sie tief in die Taschen. Der Regen wurde stärker, und sie musste sich entscheiden, ob sie in dem miserablen Unterstand an der Haltestelle stehen bleiben und durch die matten Scheiben spähen oder eine klare Sicht auf einen eventuell herankommenden Bus haben, dabei aber völlig durchnässt werden wollte.
    Sie tastete nach den Münzen in ihrer Tasche, nahm sie heraus und zählte sie schnell durch. Es war genug, um in die Stadt zurückzukommen. Dort könnte sie zum Bankautomaten gehen und Geld für ein Taxi holen. Oder vielleicht ein Telefon suchen, um von hier aus ein Taxi zu nehmen. Sie könnten unterwegs an einem Bankautomaten anhalten. Es würde sie ein Vermögen kosten, aber wenn sie aus dieser Kälte wegkäme, wäre es das wert. Sie sah sich um, ob irgendwo eine Telefonzelle war. Nirgendwo war eine zu sehen, aber weiter unten am Hügel an der Ecke, wo eine Zypresse stand, deren Zweige regenschwer auf die Straße hingen, stand jemand. Sie sah einen hellen Mantel schimmern. Wartete noch jemand auf den Bus? Das könnte bedeuten, dass er bald kommen würde. Sie sah auf die Uhr und erschrak. Ihr war nicht klar gewesen, wie spät es schon war. Nach Mitternacht. Um diese Zeit würde kein Bus mehr kommen. Sie war am Bahnhof, einem plötzlichen Einfall folgend, einfach in den Bus gestiegen, ohne zu überlegen, was sie tat. Und jetzt saß sie durchnässt in diesem gottverlassenen Teil von Sheffield in der Kälte fest und hatte keine Ahnung, wie sie nach Hause kommen würde.
    Die Lichter der Straßenlaternen tanzten im Regen. Er spritzte von der Straße hoch, die undeutlich in dem gebrochenen Licht vor ihr lag. In der Ferne erschienen Scheinwerfer. Ein Bus? Nein, ein Transporter rauschte vorbei, spritzte einen Schwall Wasser vom Rinnstein in das Wartehäuschen und durchnässte ihre Füße.
    Tränen des Selbstmitleids traten ihr in die Augen. Sie richtete ihre ganze Wut auf Luke, dabei verflüchtigten sich die Tränen, aber das unangenehme Gefühl innerer Leere blieb. Sie musste eine Entscheidung treffen, sie konnte die Nacht nicht an der Bushaltestelle verbringen. Sie sah sich um, an der Ecke, wo der Mann gewartet hatte, schien jetzt niemand mehr zu sein. Oder doch? Die Büsche neben dem Baum schwankten im Wind und ließen etwas entstehen, das wie ein an den Baumstamm gelehnter Mann aussah … nein, es war nur der Baum … sie konnte es nicht genau erkennen. Sie zog die feuchte Jacke fester um sich, um es etwas wärmer zu haben, und begann die Straße hinunterzugehen. Es musste doch irgendwo eine Telefonzelle geben. Aber wenn es keine gab? Dann würde sie eben zu Fuß in die Stadt zurücklaufen. Das war immer noch besser, als frierend an der Haltestelle zu stehen.
    Ihre Schuhe waren

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