Nachtengel
nicht wasserdicht und vom Regen durchgeweicht. Sie spürte den nassen Stoff ihrer Hose an den Beinen kleben. Du hättest dir das vorher überlegen sollen, Bishop. Es hörte sich fast wie Lukes Stimme an, wenn sie sich über die Lösung eines Problems stritten. Wieso glaubst du, dass du alles besser weißt, Hagan? Sie war so erschöpft und durchgefroren, dass es schwer war, sich zu konzentrieren. Es gab keine Spiegel an den Wänden. Nathan sah sie an und sagte: Ich habe nicht viel zu tun. Sie war kurz davor, einfach einzuschlafen.
Der Wind ließ kurz nach, und in der Stille glaubte sie, jemanden hinter sich gehen zu hören. Sie erinnerte sich an die Gestalt, die unter dem Baum gewartet hatte, und sah schnell über die Schulter zurück. Die Straße war leer. Sie ermahnte sich, damit aufzuhören, sich solche Dinge einzubilden, aber sie war allein, und es war dunkel und kein Mensch weit und breit. Die Häuser standen ein Stück von der Straße zurückgesetzt, und es kam nur hin und wieder ein Auto.
Sie zitterte. Ein Auto brauste vorbei und verschwand in der Dunkelheit. Da war jemand auf der Straße vor ihr, er lief schnell den Hügel hinunter, die Schultern im hellen Regenmantel hochgezogen. Sie hatte Gegenwind, der ihr die Graupeln ins Gesicht und in die Jacke blies und sie bis auf die Knochen durchnässte. Ihr Gesicht fühlte sich bereits starr und taub an, sie senkte den Kopf und zog den nassen Kragen der Jacke hoch.
Als sie aufsah, war die Straße leer. Wer immer vor ihr gegangen war, musste in eine der Seitenstraßen abgebogen sein. Sie hatte das Ende von Lukes Straße erreicht. Sie konnte zu ihm zurückgehen und fragen, ob sie telefonieren könnte, aber sie war nicht sicher, ob sie es noch einmal schaffen würde, seine Gehässigkeit über sich ergehen zu lassen. Ein Auto kam weiter unten am Hügel aus einer Seitenstraße heraus. Es fuhr langsam auf sie zu, als kenne sich der Fahrer nicht genau aus. Unter der Straßenlaterne fiel kurz das Licht auf den dunklen, teuer aussehenden Wagen, und sie beneidete die Person, die sicher hinter dem Steuer saß. Sie fragte sich, warum der Fahrer so langsam fuhr. Suchte er eine Adresse?
Dann überlegte sie, ob seine Aufmerksamkeit vielleicht ihr gelten könnte. Eine Frau allein nach Mitternacht – vielleicht war es jemand, der die Lage ausnutzen wollte, jemand, der vorher hier entlanggefahren war und sie allein auf einen Bus warten sah. Die leere Straße und das stille Haus machten ihr klar, dass hier draußen niemand war, der ihr helfen konnte. Ohne zu überlegen, bog sie um die Ecke lief schnell auf Lukes Haus zu, das auf der anderen Straßenseite lag. Durch den Graupelregen hörte sie, dass der Wagen beschleunigte, und fing an zu laufen. Die Scheinwerfer erleuchteten die Straße, und sie hörte den Motor aufheulen. Die Schatten vor den näher kommenden Scheinwerfern ließen sie einen Moment die Orientierung verlieren. Sie stolperte und spürte den schneidenden Schmerz spitzer Steine an ihrem Knie, die Scheinwerfer holten sie ein, sie kam wieder auf die Beine und taumelte durch das Tor. Ohne es an der Haustür zu versuchen, hämmerte sie an sein Fenster. »Luke!«, rief sie. »Luke!« Stille und das Zischen der Autoreifen auf der Straße. Sie schlug an die Tür. Wo war er?
Dann ging das Licht an, und die Tür wurde geöffnet. Das Auto rauschte vorbei und verschwand in der Dunkelheit. Sie drängte sich an Luke vorbei und schlug die Tür hinter sich zu, lehnte sich schwer atmend dagegen und spürte, wie ihre Beine anfingen zu zittern, als der Schock sie überwältigte. »Roz?« Luke starrte sie verwirrt an. »Was …? Verdammt, wie siehst du denn aus! Was hast du gemacht?«
Sie sah an sich hinunter. Ihre Jacke war nass, die Hose triefte. Ein Hosenbein war zerrissen und das Knie blutete. Wasser tropfte aus ihren Haaren und von ihren Kleidern auf den Boden. Ihr Gesicht war gefühllos vor Kälte. »Ich habe den Bus verpasst«, sagte sie. »Ich muss nur schnell telefonieren.« Sie hörte selbst, dass ihre Stimme nüchtern und alltäglich klang, worüber sie lachen musste, dann zitterte sie so heftig, dass sie nicht mehr aufrecht stehen konnte.
Er packte sie am Handgelenk und zog sie in die Wohnung. »Wo ist dein Auto? Was soll das, dass du so spät auf der Straße rumläufst? Mensch, Roz, manchmal sollte man dich einfach zu Hause einsperren.« Sein Gesicht war vor Entrüstung und Sorge angespannt.
»Ich bin vom Bahnhof aus mit dem Bus gekommen.« Er half ihr, die Jacke
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