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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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Sonntag, ein schöner Wintertag, dämmerte über den Pennines. Der Himmel war wolkenlos und blau und die Luft still. Die Temperatur war gesunken, und der Raureif auf dem Boden glitzerte. Es war ein Tag, der die Wanderer anlockte, und Keith Strong hatte beschlossen, der Menge vorauszueilen und früh loszugehen. Er kannte die Peak-Gegend gut, denn er arbeitete in Teilzeit als Forstaufseher und hatte ein Auge auf die Parkbesucher, bot ihnen Hilfe an, half Wanderern aus der Klemme, und wenn etwas drastisch schief ging, beteiligte er sich an der Rettungsaktion. War in der Gegend um den Peak herum eine Rettungsaktion nötig, dann hieß das gewöhnlich, dass jemand sich dumm angestellt hatte, mit hochhackigen Schuhen versucht hatte, den Mam Tor, den zitternden Berg, zu besteigen (wirklich, so etwas hatte er schon erlebt), bei schlechtem Wetter und ohne die richtige Ausrüstung auf die Gipfel wollte oder Felswände ohne Sicherheitsausrüstung hochgeklettert war. Aber heute war er nicht im Dienst, sondern wollte nur die Natur genießen. Sein Kumpel Tony fuhr gleich morgens nach Manchester hinüber, und Keith hatte ihn überredet, die Route über den Snake zu nehmen und ihn am Doctor's Gate abzusetzen. Er hatte vor, den Weg zum Devil's Dyke hinaufzugehen, dem Pennine Way zu folgen und dann zum Flouch Inn hinüberzugehen. Es war eine lange und schwierige Wanderung, aber das Wetter war genau richtig, und er brauchte einen Tag in der freien Natur. Außerdem würde es auch Candy gut tun.
    Tony setzte ihn auf der geraden Strecke vor Doctor's Gate ab. »In der Kurve kann ich nicht halten«, sagte er. Als Tony weiterfuhr, hob Keith dankend die Hand, nahm seinen Rucksack auf und machte sich auf den Weg den Berg hinauf und auf das Abflussrohr des Bachs zu. Er führte Candy das Stück, das sie noch auf der Straße waren, an der Leine. Sie gehorchte ihm – alle seine Hunde waren gut erzogen, aber sie war jung und aufgeregt und voller Energie. Es war nicht gut, ein Risiko einzugehen. Sie zog an der Leine, und er verbot es ihr mit strenger Stimme, aber als die Steigung steiler wurde, ließ er sie wieder ziehen. Sobald sie den Durchlass erreichten und die Straße überquert hatten, ließ er Candy von der Leine, und sie rannte voraus den Damm hoch, schnupperte eifrig und tänzelte vor Freude. Keith dachte, und das nicht zum ersten Mal, dass es viel leichter war, einen Hund glücklich zu machen als eine Frau.
    Er ließ Candy alles untersuchen. Es gab hier Schafe, und zu dieser Jahreszeit konnten sie trächtig sein, aber Candy wusste, dass sie sie nicht jagen durfte. Keith setzte sich auf einen Felsbrocken, um die Schnürsenkel seiner Stiefel fester zu binden und seine Gamaschen anzuziehen. Auch wenn noch Frost herrschte, konnte es auf den Gipfeln schlammig sein. Zerstreut und mit halber Aufmerksamkeit – da er seine Route plante – bemerkte er ein Auto, das ihn dann doch ärgerte. Die rote Karosserie wirkte aufdringlich in der Landschaft, und es hätte nicht da stehen sollen. Er war der Meinung, dass Leute, die es nicht schafften, hier ohne Auto herzukommen, woanders wandern sollten. Er wusste, dass das unlogisch war, und das reizte ihn noch mehr.
    Er fand, dass der Wagen irgendwie merkwürdig geparkt war. Als er Candy zurückrief, kam sie mit einem Stück Heidekrautwurzel im Maul den Pfad heruntergesprungen, die sie ihm zu Füßen legte. Dann sah sie ihn erwartungsvoll an. »Geh da weg!«, sagte er, als er auf das Auto zuging. Es war ganz dicht an den Felsen herangefahren und musste dabei beschädigt worden sein – Keith konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass es nur beim achtlosen Parken so weit zur Seite gefahren worden war. Er betrachtete es von vorn und hinten. Die Nummernschilder waren abgeschraubt. Aha. Wahrscheinlich also gestohlen. Jemand, der eine Spritztour gemacht hatte? Aber es war unwahrscheinlich, dass man sich die Mühe machen würde, den Wagen hier oben zu verstecken. Vielleicht war es bei einem Einbruch benutzt worden, ein Fluchtwagen oder so etwas. Die Idee fand er ganz gut.
    Candy beschnupperte alles, die Wurzel war vergessen. Sie war jetzt auf der Beifahrerseite und beschnüffelte mit erhobenem Schwanz und achtsam aufgestellten Ohren das Rad. Dann wurde sie plötzlich ganz steif, legte die Ohren an, der Blick war starr und aufmerksam. Sie hatte den Schwanz gesenkt, legte sich wie auf der Pirsch vorsichtig auf den Boden, sah unter das Auto und winselte leise. Keith fasste sie am Halsband und zog sie zurück.

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