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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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ihr Fachwissen beizutragen, und das würde er auch bekommen. Sie genoss die Herausforderung. Ihre Arbeit verlangte ihr eine Menge ab, war oft stressig und bedrückend, vor allem aber interessant, und egal, wie anstrengend die Fälle auch waren, sie schaffte es, zwischen ihrem privaten Leben und den Dingen, die sie sah und tun musste, einen gewissen Abstand zu halten. Manchmal dachte sie, dass diese Fähigkeit für sie als Polizistin am wichtigsten war.
    Sie nahm die Akten aus ihrem Eingangskorb und breitete alles auf dem Schreibtisch aus. Zwei Frauen: Katja im Schlamm der Humber-Mündung und die namenlose Frau auf den Steinen bei Ravenscar. Hatte Farnham Recht, wenn er meinte, dass es eine Verbindung zwischen diesen beiden Toten und auch zwischen ihnen und Dornröschen geben könnte?
    Langsam und aufmerksam las sie die Berichte und machte sich Notizen, wenn ihr etwas auffiel. Alles deutete darauf hin, dass Katja Selbstmord begangen hatte, aber … sie war ein paar Stunden, nachdem sie aus dem Krankenhaus weggelaufen war, auf dem Weg zur Humber-Brücke gesehen worden. Die Aussage eines Beobachters war nicht überzeugend: Ein Fahrer, der auf der A63 aus Hull kam, hatte ›eine Frau in einem roten Mantel‹ gesehen, die die Straße entlangging. Aber der andere Zeuge hatte mehr Einzelheiten angegeben. Er hatte das dunkle Haar der Frau und die schweren Metallknöpfe an ihrem Mantel erwähnt.
    Ihre Leiche wurde drei Tage später gefunden. Der Gerichtsmediziner hatte nicht genau feststellen können, wie lange sie schon tot war. Er meinte, wahrscheinlich nicht länger als achtundvierzig Stunden. »Wasser und Schlamm machen es schwierig, Inspector«, sagte er, als sie ihn fragte, ob er die ziemlich vagen Schlussfolgerungen in seinem Bericht nicht präzisieren könne. »Eine inoffizielle Vermutung – vielleicht?«, hatte Lynne gefragt, aber er hatte sich geweigert, sich festzulegen. Auch die Todesursache stand nicht einwandfrei fest. Nichts bewies, dass sie ertrunken war, und die entscheidende Frage, ob sie schon tot gewesen war, als sie ins Wasser fiel, blieb unbeantwortet.
    »Wir wissen es nicht«, hatte der Pathologe müde gesagt. »Aus großer Höhe ins Wasser zu springen ist genau so, als spränge man auf Beton.« Die Kopfverletzungen waren wahrscheinlich erst nach dem Todeseintritt entstanden. »Bei Kopfverletzungen gibt es Blutungen nach dem Tod, wenn die Leiche im Wasser schwimmt«, sagte er. »Und die Möwen haben sich das weiche Gewebe geholt. Es war nicht viel da, woraus sich Schlüsse ziehen ließen. Ich kann in diesem Fall einfach keine eindeutig klare Aussage machen. Es tut mir Leid. Es ist möglich, dass wir es hier mit einer Schädigung des Vagusnervs zu tun haben und dass es im Wasser zum Herzstillstand kam. Ein Schock beim Sturz ins kalte Wasser kann sich so auswirken.« Er schüttelte wieder den Kopf. »Lassen Sie uns abwarten, was die Laboruntersuchungen zeigen.«
    Lynne sah sich die Akte der unbekannten Frau an, die bei Ravenscar gefunden worden war und deren Todesursache man genauso wenig wie bei Katja kannte. Über sie gab es jedoch mehr Informationen. Als sie gefunden wurde, war sie wahrscheinlich nicht länger als fünfzehn Stunden tot, das heißt, sie war vermutlich in der Zeit zwischen dem frühen Abend und Mitternacht gestorben. Der Schlag, der ihren Schädelbruch verursacht hatte, wäre tödlich gewesen, aber er war erst nach ihrem Tod erfolgt. Die anderen Verletzungen wären nicht lebensgefährlich gewesen, die meisten waren nur oberflächliche Prellungen. Der Pathologe hatte überlegt, ob sie hier einen Unfalltod bei gewaltsamem Sex vor sich hatten, etwa bei einem Spiel mit Fesselungen, das außer Kontrolle geraten war.
    Lynne nahm sich die Laborbefunde vor. Die Frau hatte Alkohol, aber keine Drogen im Blut gehabt. Sonst hatte sie offensichtlich harte Drogen genommen, wenn man von den Einstichen ausging, aber nicht in den letzten achtundvierzig Stunden. Kurz vor dem Tod hatte sie etwas gegessen, in ihrem Magen war Brot.
    Lynne dachte nach. Drei Frauen. Möglicherweise Prostituierte, zwei mit unbekannter Todesursache, alle nicht namentlich bekannt und mit so schweren Gesichtsverletzungen, dass sie unkenntlich waren. Alle ins Wasser geworfen, eine gute Methode, um forensische Spuren zu verwischen, und alle nicht dort umgebracht, wo sie aufgefunden wurden. Sie verstand Farnhams Sorge und hatte für sein behutsames Vorgehen Verständnis. Zwei Jahre zuvor hatte sie mit einer Ermittlung zu tun

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