Nachtengel
könnte. Sie hätte alles auf ihrer Festplatte löschen können, kein Problem. Sie weiß, wie man das macht …« Roz dachte daran, dass sie einmal genau das getan hatte, ohne dass sie es beabsichtigte oder auch nur wusste, was sie da angerichtet hatte. »Aber für diese Sache hier hätte sie besser Bescheid wissen müssen.«
Roz dachte darüber nach. Sie überlegte, wie sie das Problem angehen würde, wenn sie etwas von ihrer Festplatte so entfernen wollte, dass es für immer weg war. Man konnte in ihrem Arbeitsbereich nicht tätig sein, ohne zu wissen, wie leicht solche Dateien wiedergefunden werden konnten. Wenn sie etwas endgültig löschen wollte, würde sie wahrscheinlich Luke fragen. Aber wenn sie nicht wollte, dass Luke es erfuhr … Sie dachte, wahrscheinlich wäre sie doch in der Lage gewesen, irgendeine Lösung zu finden. Sie wäre nur nicht hundertprozentig sicher gewesen, dass die Dateien wirklich endgültig gelöscht waren. Aber das wäre vermutlich nicht allzu schwierig herauszufinden. »Gemma kann es getan haben«, sagte sie.
Luke zuckte die Schultern. Er dachte offenbar, dass sie sich irrte. Er fuhr den Rechner herunter und stand auf. »Ich gehe in die Abteilung«, sagte er. »Ich sehe auf ihrem PC dort nach.«
Sonntags war es im Arts Tower still. Die Studenten arbeiteten in der Bibliothek, und einige Leute fuhren im Paternoster hinauf oder herunter, eine Universität ist nie ganz geschlossen. Aber die Menge Menschen, die unter der Woche Vorlesungen und Seminare besuchte, war heute nicht da. Sie fuhren schweigend im Paternoster nach oben. Die Abteilung N war menschenleer, das Licht ausgeschaltet, die Gänge dämmrig und still. Luke ging zu Gemmas Büro voraus und schloss mit seinem Universalschlüssel auf. Roz sah sich um. Alles war so mustergültig ordentlich wie am Freitag. Sie erinnerte sich, dass sie hier gewesen war, weil sie Gemmas Bericht suchte. Als Luke jetzt den Computer anschaltete, wurde ihr klar, wie bedeutsam das war und sie fühlte eine unbestimmte Erleichterung. »Es ist okay«, sagte sie. »Ich hatte das ganz vergessen. Am Freitag habe ich in eine von Gemmas Dateien reingesehen. Ein Bericht, den sie abliefern musste. Alles ist da. Oder jedenfalls die Dateien, die ich suchte, waren da. Ich …« Sie verstummte bei dem, was sie über Lukes Schulter hinwegsah. Der Computer brachte eine Nachricht, weiße Buchstaben auf schwarzem Bildschirm: Fehler, Fehler, Fehler.
Luke sah sie an. »Am Freitag mag es wohl noch da gewesen sein«, sagte er. »Aber jetzt nicht mehr. Es ist gelöscht.«
Roz strich sich das Haar aus dem Gesicht und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo ich noch suchen soll«, sagte sie. Wer immer Gemmas Dateien gelöscht hatte, hatte gründliche Arbeit geleistet. Die peinlich genaue Entfernung der Dateien in ihrem Computer zu Hause hatte wohl einige Zeit erfordert. Hier war sogar die Festplatte neu formatiert. Alles war weg.
Roz und Luke hatten ihren Schreibtisch und die Aktenschränke in Gemmas Büro durchsucht, hatten auf den Regalen nachgesehen, auf dem Fensterbrett und in den Taschen ihres Laborkittels, der an der Tür hing. Roz fragte sich, warum er überhaupt da hing. Sie hatte Gemma ihn nie tragen sehen. Sie suchten Gemmas Sicherheitskopien. Luke stand beim Aktenschrank, und einen Moment hatte er seinen Gesichtsausdruck nicht unter Kontrolle. Er sah ängstlich und verwirrt aus und hatte vor Anspannung Falten um Augen und Mund. Er bemerkte, dass sie ihn ansah, und versuchte ein Lächeln. »Was hätte es für einen Sinn, im Computer alles zu löschen und die Sicherheitskopien hier zu lassen?«, fragte er. »Sie sind nicht hier.«
»Wer immer es getan hat, hat vielleicht nicht gewusst …« Roz hoffte immer noch, dass die Disketten mit den Sicherheitskopien, die Gemma haben musste, doch noch auftauchen würden. Vielleicht hatten sie etwas übersehen. Sie wandte sich wieder dem Schreibtisch zu.
»Sie sind nicht hier, Roz. Hör auf mit der Zeitverschwendung.« Er steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans und sah sich mit zornigem Gesicht im Raum um. »Ich habe ihr gesagt, dass wir ein System zur automatischen Erstellung von Sicherheitskopien brauchen.«
»Wem?« Roz schob die Schreibtischschublade zu. Er hatte Recht. Es war nichts da. Sie hatten überall nachgesehen. Sie rückte ihre Brille zurecht und nahm sie dann irritiert ab.
»Grey. Ich hab es Grey gesagt.« Er fuhr sich durchs Haar und ging ruhelos in dem kleinen Zimmer umher. Roz öffnete die
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