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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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zusammenfahren und aufsehen. Eine Katze rannte an der Mauer entlang. Sie zog die Schultern hoch und eilte durchs Tor. Das Tuch am Fenster bewegte sich sachte, als sie leise die Stufen zur Haustür hinauflief.
    Sie hatte ihren Schlüssel in der Hand, war schon drin und hatte die Tür hinter sich geschlossen, bevor sie denken konnte. Dann stand sie einen Moment still, um Atem zu schöpfen, und horchte. Stille. Nicht einmal die Musik des jungen Mannes war zu hören. Nur das weit entfernte Dröhnen des Verkehrs. Das Treppenhaus war dunkel. Sie wäre am liebsten weggelaufen, aber sie wusste, wenn sie das tat, würde sie nie mehr hierher zurückkommen. Sie drückte auf den Knopf an der Wand, und ein mattes Licht ging über ihr an. Sie schlich sich vorsichtig zum ersten Treppenabsatz hoch. Das Licht ging aus, und das Treppenhaus lag im Dunkeln. Sie horchte. Nichts. Ein Knarren. Ein zischendes Geräusch in den Rohren. Sie spähte angestrengt in die Finsternis, bis sie Formen und Muster unterscheiden konnte. Wieder drückte sie auf den Knopf, bereit, die Treppe hinunterzulaufen und zu fliehen. Der leere Flur lag vor ihr.
    Auf der geschwungenen Treppe, die zu den Mansarden führte, ging sie langsam zum nächsten Absatz hinauf. Sie drückte die Schulter gegen die Wand, während sie die Stufen hinaufeilte und versuchte, nach oben und um die Ecke zu sehen. Das Licht ging aus. Sie atmete stoßweise, und sie stolperte, als sie oben ankam. Es war stockdunkel auf dem winzigen Treppenabsatz, und sie hatte die Orientierung verloren. Sie streckte die Hände nach dem Knopf aus, tastete sich an der Wand entlang, die Tapete gab ein bisschen nach. Etwas Kaltes, Hartes ließ sie zurückzucken. Die Rohre. Die Wand war nicht mehr da, sie taumelte nach vorn und ihre Hände schlugen fest und dumpf gegen eine Tür. Sie erstarrte.
    Jetzt schien es, als lauere etwas in der Stille. Sie fand den Lichtschalter und ihre Tür nicht. Lauf weg, lauf weg, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Aber sie musste die Papiere holen. Sie hatte ihr ganzes Geld dafür ausgegeben. Mit den Papieren würde sie bleiben, Geld verdienen, arbeiten können. Ihre Hände stießen auf die zweite Tür, und plötzlich wusste sie, wo sie war. Ihre Hand fand den Schalter und drückte darauf, sie war auf ihrem vertrauten kleinen Treppenabsatz. Sie horchte wieder.
    Unten waren Schritte zu hören. Eine Tür ging auf und wieder zu. Stille. Sie wartete und lauschte. Nichts. Die letzte Hürde. Sie steckte ihren Schlüssel ins Schloss, drückte gegen die Tür und schloss sie lautlos hinter sich. Der Mond warf ein Lichtviereck auf den Boden, und der Schatten der Holzkatze auf dem Sims glich der Katze, die Anna zu Hause gehabt hatte. Sie war das einzige nicht absolut Notwendige, das sie mit ihrem Lohn gekauft hatte. Sie wagte nicht, das Licht anzuschalten, deshalb wartete sie, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
    Langsam sah sie die vertrauten Dinge des Zimmers. Das Bett im Mondlicht, der Stuhl an der Wand, der auf dem unebenen Boden etwas schief stehende Schrank, dessen Tür aufstand. Sie horchte wieder. Stille. Niemand konnte die Treppe zu den Mansarden heraufkommen, ohne dass sie – wachsam und angespannt – das vertraute Knarren hörte. Sie zog den Stuhl vor den Schrank, stieg darauf und griff hoch nach der Schachtel, in der sie die Papiere versteckt hatte. Ihre Hände suchten hinter dem geschnitzten Sockel und glitten über die staubige Oberfläche. Nichts. Verzweifelt tastete sie in jede Ecke, befühlte die Wand hinter dem schweren Schrank. Sie hatte sich an die Dunkelheit gewöhnt und konnte jetzt recht gut sehen. Nichts. Die Schachtel war weg.
    Sie sprang vom Stuhl und kniete nieder, tastete unter dem Schrank umher und sagte sich, dass die Schachtel heruntergefallen sein und auf dem Boden liegen musste. Aber sie war nicht da. Sie konnte nirgendwo mehr suchen. Sie hatte nichts außer Bett, Schrank und Stuhl. Sie sah in den Schrank hinein und bemerkte erst jetzt das Durcheinander. Ihre Sachen, Zahnbürste, Seife und alle persönlichen Dinge waren auf dem Boden des Schranks verstreut, und einige lagen draußen auf dem Fußboden. Ihre Kleider, die wenigen, die sie hatte, waren aufs Bett geworfen, jemand hatte sie aus dem Schrank herausgeholt.
    Sie setzte sich aufs Bett, ein kalter Schock durchfuhr sie. Der Pass mit dem Visum, die Papiere, die ihr erlauben würden, weiterzuziehen, zu arbeiten, zu leben, die Papiere, für die sie den Rest des Geldes ausgegeben hatte,

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