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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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Zischen des Beatmungsgeräts allein, während sie Nathans schlaffe Hand hielt. Sie dachten, er könnte, ja, er würde wahrscheinlich sterben.
    Dann gab es Anzeichen der Besserung, eines Morgens erwiderte er den Druck ihrer Hand, die Augen reagierten auf Stimmen und Fragen. Es waren Zeichen wiederkehrenden Bewusstseins, die ihr sagten, dass sie und Nathan Glück gehabt hatten, dass sie herausgefordert wurden, es überlebt, es durchgestanden hatten. Zum ersten Mal seit fast zwei Wochen hatte sie in der folgenden Nacht geschlafen – bis die Mittagssonne sie weckte, sie spürte neue Kraft und fühlte sich wie neugeboren. Danach kamen einige Tage, in denen es frustrierend langsam vorwärts ging. Nathan, von Medikamenten und Krankheit verwirrt, trat den langen Weg der Genesung an.
    Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie das Krankenhaus anrief und die Stationsschwester, die sie bei ihren Nachtwachen unterstützt hatte, ihr sagte, dass Nathan wach sei und spreche. Nathan war aufgewacht. Nathan war wieder da. Sie hatte wahllos irgendwelche Sachen angezogen, so eilig hatte sie es gehabt, hinzukommen, und dann blieb sie vor dem Spiegel stehen und kämmte sich, als träfen sie sich nach langer Trennung zum ersten Mal wieder.
    Sie wusste noch, wie sie auf die Station kam und ihn sah, blass und müde in seinem Morgenmantel, aber auf einem Stuhl sitzend und wach, und wie erleichtert sie war, als sie merkte, dass sie glauben durfte, was man ihr gesagt hatte. »Er schafft es, Mrs. Bishop, ich glaube, wir werden gewinnen.« Und gerade zwölf tage zuvor hatten sie einen Urlaub geplant, eine Reise nach Amsterdam, um Nathans neue Stelle und ihr Doktorexamen zu feiern. Als er sie sah, stand er bleich und zittrig auf, aber er war wach, klar, sein Gesicht strahlte vor Erleichterung und ihres ebenfalls. »Roz!« Er umarmte sie. »Mein Gott, es ist so lange her! Ich bin so froh …« Seine Stimme versagte. So lange. Sie waren allen wie eine Ewigkeit vorgekommen, diese vier Tage, als sein Leben in Gefahr gewesen war. Die Zeit hatte sich in die Länge gezogen, während er sich langsam der Genesung näherte. Über seine Schulter sah sie die Stationsschwester in der Tür stehen und sie anblicken. Man hatte sie noch nicht erwartet.
    Nathan sprach weiter. »Ich war krank, ich war, ach Gott, es war schrecklich, aber jetzt fühle ich mich viel besser. Roz, du hast mir so gefehlt. Es ist so schön, dich wiederzusehen. Wo bist du gewesen?«
    Etwas stimmte nicht, etwas, das sie nicht genau definieren konnte. Sie hörte die Stimme der Schwester hinter sich. »Hallo, Nathan, wer ist das?«
    Und ihre Stimme klang – Roz kannte diesen Tonfall –, als spreche sie zu einem Kind, und sie sah Nathan verwirrt die Stirn runzeln. Es war eine dumme Frage. Die Schwester wusste genau, wer Roz war.
    »Das ist meine Frau«, sagte er. »Roz.«
    Die Krankenschwester lächelte Roz zu und sagte: »Möchten Sie etwas trinken? Ich habe Tee in …«
    »Ich hole mir einen Kaffee«, sagte Roz schnell. Sie sah Nathan an. »Willst du auch welchen?« Er betrachtete sie, als mache ihn etwas ratlos, und sie ging mit dem Gefühl zum Automaten, vor einer Situation zu fliehen, die sie nicht verstand. Als sie mit der dünnen Plastiktasse zurückkam, über deren Rand der heiße Kaffee über ihre Fingerspitzen lief, sah sie die Schwester vor ihrem Büro warten. Roz wollte keine Plauderei mit der Krankenschwester, die Nathan ausschloss. Sie hatte die Situationen gehasst, wenn sie am Bett stand und die Ärzte mit ihr über ihn sprachen. Sie mochte es nicht, wenn Nathan ›er‹ und ›der Patient‹ und ›Ihr Mann‹ genannt wurde, wo er doch mit offenen Augen, die aber blind und leer waren, da im Bett lag. Und eine Zeit lang atmete eine Maschine für ihn – heute noch konnte sie ihr regelmäßiges Zischen hören, das Nathans untätige Lunge in Gang hielt. Nathan war nicht ›er‹ oder ›der Patient‹ oder ›Ihr Mann‹. Er war ›du‹ und ›Nathan‹, den sie liebte.
    Sie machte einen Bogen um die Schwester, die sagte: »Oh, Mrs. Bishop, Roz …«, und ging mit ihrem Kaffee triumphierend zu Nathan. »Hier bin ich wieder«, sagte sie.
    Er sah aus dem Fenster und drehte sich beim Klang ihrer Stimme um, und der Ausdruck der Verwirrung wich dem von Überraschung und Erleichterung. »Roz! Ich bin so froh … Mein Gott, es ist so lange her!« Er stand wieder auf, und an dem leichten Schwanken erkannte sie, wie schwach seine Beine waren. Er schaute ihr über die Schulter,

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