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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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zu den beiden Beamten auf, die noch dastanden. »Was ist passiert?«, fragte sie. »War es ein Unfall …? Wann ist sie …«
    Sie beachteten ihre Fragen nicht, und der Polizist, der bis jetzt geschwiegen hatte, sagte: »Wir müssen mit Ihnen sprechen, Mr. Hagan. Wir hätten gern, dass Sie uns begleiten.«
    Langsam setzte sich Luke auf. Sein Gesicht war totenblass, aber er schien ruhig. »Ich hole meine Sachen«, sagte er. Als er die Treppe hinaufging, wollte Roz ihm folgen, aber er sagte scharf: »Lass, Roz.«
    Ihr schwindelte, sie blickte zu den Beamten zurück. Sie waren in Zivil, und jetzt erst wurde ihr klar, was das bedeutete. Sie waren von der Kriminalpolizei und hatten einen Ermittlungsauftrag. Es war eine strafrechtliche Untersuchung. Gemma! In ihrem immer noch etwas umnebelten, trägen Hirn tauchten weitere Vermutungen auf. Sie wollten mit Luke sprechen. Sie waren gekommen, um ihn zu holen. Sie sah DS Anderson an. »Wieso wussten Sie, dass Luke hier ist?«
    Einen Augenblick dachte sie, er würde nicht antworten, dann aber sagte er: »In dem Haus, wo Mr. Hagan wohnt, hat uns jemand darüber informiert, dass er gestern Abend hierher wollte.«
    Roz versuchte trotz ihrer Kopfschmerzen, die nächste Frage zu formulieren, aber sie hörte Lukes Schritte auf der Treppe. Er kam angezogen herunter. Sie wollte ihn berühren und beruhigen, hatte aber wegen der beiden Polizisten Hemmungen, und außerdem schien Luke weit weg und unnahbar. Als er durch die Tür ging, drehte er sich zu ihr um und sagte: »Das Motorrad hole ich später.«
    Sprachlos vor Schock ging sie in die Küche, schaltete wie ein Roboter den Wasserkocher an und steckte Brot in den Toaster. Sie ging in ihr Arbeitszimmer, wo die stickige Luft nach Whisky roch, und sah die leere Flasche. Sie hatten gestern Abend viel getrunken. Und dann … plötzlich wurden ihre Gedanken klarer. Sie erinnerte sich, dass sie am Tisch gesessen, über Schuld und Buße gesprochen und die Diskussion mit Whisky angeheizt hatten. Später war sie, von Luke gestützt, taumelnd über den Flur zum Bett gegangen und hatte sich über ihren sentimentalen Wunsch ausgelassen, irgendwelche Not leidende Arme zu unterstützen und ihnen ihr Leben zu opfern. »Ich muss etwas zurückgeben«, hatte sie erklärt.
    Luke hatte sie zugedeckt und sich auf der Bettkante neben sie gesetzt. »Meinst du etwa, die Dritte Welt braucht dringend eine forensische Sprachwissenschaftlerin?«, hatte er gesagt und ihr belustigt übers Haar gestrichen. »Halt den Mund und schlaf jetzt, Bishop. Du bist besoffen.«
    Der Rauchalarm rief sie mit schrillem Piepsen, das sich wie ein Messer in ihren schmerzenden Kopf bohrte, in die Gegenwart zurück. Das Brot war im Toaster verkohlt. Sie nahm es heraus, stieß die Hintertür auf und versuchte, den Alarm abzuschalten. Gemma war tot. Sie fragte sich, wie sie Joanna beibringen sollte, was geschehen war.
    Sie saß am Tisch, zerkrümelte den verbrannten Toast und starrte mit leerem Blick die Wand an. Es war nach neun. Gemma war tot. Sie stand mühsam auf und ging zum Telefon. Sie musste Joanna anrufen, wählte ihre Durchwahl, landete aber bei Alice Carr, der Sekretärin der Abteilung, Peter Cauldwells Vertraute und Verbündete. »Ich fürchte, niemand von Ihrer Gruppe ist erreichbar, Roz«, sagte Alice. »Dr. Grey spricht gerade mit der Polizei, ist es nicht entsetzlich?«
    Sie hätte es wissen müssen. Gemma an ihrem Arbeitsplatz zu suchen, musste natürlich einer der ersten Schritte der Polizei gewesen sein. »Es war bestimmt ein Schock für Sie, Roz, die Polizei so frühmorgens im Haus zu haben.« Alices Stimme war mitfühlend, aber was sie meinte, war klar. Ich weiß, dass du die Nacht mit Luke Hagan verbracht hast. Roz fehlte die Kraft, sich darüber aufzuregen, dass diese Information bereits Teil der Gerüchteküche war. Vermutlich hatte die Polizei dieselben Schlüsse gezogen. Ihr fiel nichts ein, das sie Alice hätte sagen können, um den entstandenen Eindruck – Gemma tot und Luke bei ihr – zu zerstreuen.
    Sie hinterließ bei Alice eine Nachricht, die zweifellos zuerst bei Peter Cauldwell landen würde, bevor Joanna sie bekam. Dann fuhr sie in die Stadt zum Polizeipräsidium, wo die beiden Beamten sie stundenlang, so kam es ihr jedenfalls vor, in die Zange nahmen. Sie wollten alles über Luke wissen. Sie fragten nach seiner Beziehung zu Gemma, nach Gemmas Ausgehgewohnheiten und nach Streit zwischen den beiden. Aber sie wusste nichts. Sie konnte ihnen nicht

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