Nachtfalter
zu Vlassopoulos.
Was sich hinter alledem verbirgt, werde ich nur aus den Geschäftsbüchern erfahren, und dazu brauche ich einen Fachmann. Doch bevor ich den zu Rate ziehe, sollte ich schnell Gikas’ Einverständnis einholen. Langsam kriecht Angst in mir hoch, daß ich bald wieder unter Ousounidis’ strenger Obhut stehen werde.
38
I ch steige mit Vlassopoulos zusammen in den Fahrstuhl.
»Was soll ich damit anfangen?« fragt er und deutet auf die Geschäftsbücher und die Korrespondenz der Greekinvest, die er im Arm hält.
»Schließ alles in deinem Schreibtisch ein, und warte auf meine Anweisungen.« Denn die können erst erfolgen, nachdem ich Gikas gesprochen und klargestellt habe, wie weit ich gehen darf. Bislang hat er mich wiederholt zurückgehalten, nun aber wird er meine Hinweise nicht mehr so einfach beiseite schieben können. Ich hatte mich immer wieder gefragt, warum er mich ständig hinderte. Doch die Anweisungen für die Politikermeinungsumfragen bieten eine Erklärung dafür. Ich weiß noch nicht, welchem Zweck sie dienten, doch sie liegen Gikas schwer im Magen, und was ich ihm zu erzählen habe, wird ihn nicht erleichtern.
Vlassopoulos steigt aus, um in sein Büro zu gehen, und ich fahre weiter in den fünften Stock. Sobald ich den Korridor betrete, treffe ich auf Koula. »Guten Abend«, flötet sie mir entgegen.
»Sie sind immer noch da?« rutscht es mir heraus. Meine Worte klingen wie eine Beleidigung, so als hätte ich es eilig, sie loszuwerden. Dabei tat sie mir ja wirklich leid, als sie heulend ihre Sachen packte.
»Ich bin immer noch da«, antwortet sie. »Dafür ist jemand anderer weg.« Und sie streckt mir wie zur Bestätigung die Finger ihrer beiden Hände entgegen, damit ich sehen kann, daß sie keinen Ring trägt.
»Ihr habt euch getrennt?«
»Genauer gesagt habe ich ihn vor die Tür gesetzt. Ich bin doch nicht verrückt, einen Betrüger, der meinen Namen für seine schmutzigen Geschäfte benutzt, zu heiraten. Herr Gikas hatte ganz recht.«
»Hat Ihnen der Chef nahegelegt, sie sollten sich trennen?« Ich traue meinen Ohren nicht. Seit wann befaßt sich Gikas mit unseren Familienangelegenheiten? Mir hatte er im Krankenhaus nicht einmal persönlich gute Besserung gewünscht, und nun sorgt er sich plötzlich um Koulas Zukunft!
»Er hat mir nichts dergleichen nahegelegt«, sagt sie. »Er hat mir nur erklärt, es reiche nicht aus, selbst eine saubere Weste zu haben. Auch alle meine Angehörigen sollten eine saubere Weste haben. Ich habe darüber nachgedacht und beschlossen, daß es besser ist, mich von Sakis zu trennen, als in irgendein Polizeirevier im Umland versetzt zu werden und dort dem Chef Kaffee zu servieren.«
»Wie viele Jahre wart ihr denn zusammen?«
»Fünf.«
»Und da hat Ihnen die Trennung gar nicht weh getan, Koula? Lag Ihnen gar nichts mehr an ihm?«
»Ist es denn so schlimm, wenn mir an meiner Arbeit mehr liegt?« ziert sie sich. »Wo würde ich jemals wieder einen solchen Posten bekommen, wenn ich hier wegginge? Über Männermangel hingegen kann ich nicht klagen. Männer gibt’s wie Sand am Meer.« Und sie wirft ihr Haar mit einer selbstgefälligen Geste in den Nacken, als wolle sie damit unterstreichen, daß sich die Sandkörner bei ihrem blendenden Aussehen darum reißen würden, unter ihren zarten Füßen zertreten zu werden.
Gikas hat offensichtlich seine Methoden! Ich hatte ihm gesagt, Koula würde ihm fehlen, und er bringt sie dazu, sich von ihrem Verlobten zu trennen. So kann er sichergehen, daß sie bis neun Uhr abends im Büro sitzt und für ihn arbeitet. Liebesgeschichten und Heiratssachen – alles löst sich in Luft auf, nicht mal eine Fotografie bleibt zurück.
Ich erwische Gikas bei einer der beiden Tätigkeiten, die seinen Tag ausfüllen: sitzen oder telefonieren. Jetzt tut er gerade letzteres, und ich warte, bis er mit dem Gespräch fertig ist. Ich weiß, daß es nicht lange dauern wird. Nicht weil er so wohlerzogen wäre und seine Untergebenen nicht warten lassen wollte, sondern weil er eine verschwörerische Art zu telefonieren hat und nicht möchte, daß andere ihm dabei zuhören. In der Tat legt er nach fünfzehn Sekunden den Hörer auf die Gabel.
»Was gibt’s?« fragt er mich.
Ich beginne, über die Karamitri und ihren Gatten Bericht zu erstatten, über die Durchsuchung der Büros der Greekinvest, über die Unternehmen in Koustas’ Besitz und über die Sponsorengelder, die er den eigenen Fußballvereinen zufließen ließ. Erst ganz
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