Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
Pferdeschwanzintellektuellen starren mich an. Doch mir steht der Ärger bis zum Hals, und ich kann und will mich nicht beherrschen.
    »Papa, am Vortag freute sich Fanis noch darauf, dich wiederzusehen. Aber als du in das Untersuchungszimmer kamst, sah er dein Gesicht und ist vor Schreck erstarrt.«
    »Ist er nun wegen meiner sauren Miene eingeschnappt oder ich wegen seiner?«
    »Keine Ahnung. Ich war ja nicht dabei. Ich habe jedenfalls Mama gefragt, und sie hat mir bestätigt, daß du ein Gesicht gemacht hast, als wolltest du –«
    »Was? Ihn umbringen?«
    »Aber nein. Ihm Handschellen anlegen und ihn aufs Präsidium schleifen. Fanis hat das gemerkt und sich in sein Schneckenhaus zurückgezogen, weil er Angst hatte, du könntest ausfällig werden und ihn vor den anderen bloßstellen.«
    Sie verstummt, und wir blicken uns an. Ich versuche, mir Ousounidis’ Gesichtsausdruck zu vergegenwärtigen. Ein kühler, geschäftsmäßiger Ärzteblick, der dem Patienten nicht einmal eine Zwischenfrage zubilligt. War es meine Miene, die seine Reaktion provoziert hat, wie Katerina sagte, oder war es vielleicht der Ausdruck auf seinem Gesicht, der meine Reaktion hervorrief? Das wird ebenso unaufgeklärt bleiben wie der Koustas-Mord. Einerseits weil es keinen Spiegel gab, in dem ich meine Miene hätte überprüfen können, andererseits weil Adriani Ousounidis gegenüber positiv voreingenommen ist. Demnach hat er immer recht und ich unrecht.
    »Weißt du, warum ich mit Fanis Zusammensein möchte? Ist dir das klar?« fragt mich Katerina.
    »Weil du dich in ihn verliebt hast. Wie zuvor in Panos.«
    »Da täuschst du dich. Panos war ein Begleitumstand meines Umzugs nach Thessaloniki, gleich nach dem Abitur. Ich war das erste Mal von euch weg, ich fühlte mich einsam und wollte mich an jemandem festhalten. Ich weiß nicht, vielleicht habe ich mir deshalb einen kräftigen Mann gesucht, damit ich mich anlehnen konnte. Unabhängig davon, daß ich mich in ihm getäuscht hatte und er sich als Muttersöhnchen erwies. Ich wußte, daß du ihn nicht leiden konntest, doch das kümmerte mich nicht. Im Grunde konnte ich ihn genausowenig leiden.«
    »Und wie steht es mit Ousounidis?« Ich bringe den Vornamen nicht über die Lippen. »Wo liegt da der Unterschied?«
    Sie blickt in ihre Kaffeetasse und versucht, ihre Gedanken zu ordnen, bevor sie sie mir erläutert. »Vorgestern habe ich ihm gesagt, daß ich die Recherchen zu meiner Bibliographie abschließen und in einer Woche nach Thessaloniki zurückfahren werde.«
    »Mir hast du das vorenthalten.«
    »Weil ihr jedesmal, wenn ich wegfahre, in einen Trauerzustand verfallt und ich es euch lieber erst fünf Minuten vor meiner Abreise sage. Weißt du, was Fanis zu mir gesagt hat, als er das hörte?«
    »Was?«
    »Er hat mir gesagt, daß er es versteht, doch daß auch er seine Patienten und seine Nachtschichten hat und es nicht leicht für ihn sein würde, mich in Thessaloniki zu besuchen. ›Vielleicht schaffe ich es, ab und zu am Wochenende zu dir zu kommen‹, sagte er. ›Du solltest dich aber an den Gedanken gewöhnen, daß wir uns vielleicht erst zu Weihnachten in Athen wiedersehen.‹« Sie pausiert kurz, um zu sehen, was das für einen Eindruck auf mich macht. Sie merkt, daß ich stumm bleibe, und fährt fort. »Das gerade gefällt mir an Fanis: daß er mich liebt, aber auch seine Arbeit, und daß er nicht vorhat, sie meinetwegen zu opfern. Und das bedeutet, daß er versteht, daß auch ich nicht vorhabe, mein Studium seinetwegen an den Nagel zu hängen. Panos hing am Schluß an mir wie eine Klette.«
    Bislang war ich auf meine Tochter stolz gewesen, weil sie mir und nicht ihrer Mutter ähnlich war. Nach und nach beginne ich zu begreifen, daß sie auch mir nicht gleicht. Mir liegt es, Mörder und Verbrecher zu verhören und ihren Motiven auf den Grund zu gehen, doch sobald ich es mit mir selbst zu tun habe, versage ich kläglich. Zumeist weiß ich nicht, was mit mir los ist oder was ich eigentlich von den anderen will, weil ich einfach draufloshandle. Katerina dagegen weiß über sich selbst Bescheid. Mit einem Mal fällt mir Elena Kousta mit ihrem Sohn ein. Ich stelle mir vor, wie sie um Mitternacht aus dem Nachtklub nach Hause kommt und zum Bettchen ihres behinderten Kindes eilt, um zu sehen, ob es schläft. Und danach, wie sie sich aus Koustas’ Villa davonstiehlt, um für ein paar Stunden ihr Kind zu besuchen. Es nervt mich, daß sich die Kousta zwischen mich und meine Tochter schiebt, doch

Weitere Kostenlose Bücher