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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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eilen?«
    »Ich bin nur einen Augenblick rübergegangen, um zu sehen, was los ist.«
    »Und was ist, wenn die Kousta inzwischen abgehauen ist?« Er findet keine Antwort und blickt mich an. »Ist sie weg oder nicht?« beharre ich.
    »Weiß nicht.«
    »Was heißt hier: Weiß nicht!« äffe ich ihn nach. – Hier sterben jeden Tag Albaner, Araber, Russen griechischer Abstammung wie die Fliegen. So viele, daß man die Fälle gar nicht mehr ins Präsidium weiterleitet, sondern nur mehr zum zuständigen Revier und dann ad acta legt. Reicht es nicht, daß wir die Hände in den Schoß legen, müssen wir uns zu allem Überfluß noch zu den Gaffern gesellen? Ich trete auf die Haustür zu und suche die Klingelschilder ab.
    »Die Wohnung liegt in der zweiten Etage«, höre ich Antonopoulos’ Stimme hinter mir sagen. »Auf dem Schild steht Triantafyllidou, das habe ich nachgeprüft«, setzt er hinzu.
    »Zum Glück hast du das noch geschafft, bevor die Russen abgeschlachtet wurden.«
    Die Eingangstür steht halb offen. Ich stoße sie auf und trete ein. Dermitzakis will mir nach, doch ich halte ihn zurück. »Du bleibst bei Antonopoulos.« Er blickt mich beleidigt an. »Hier sollten wir ohne unnötigen Tumult vorgehen, wir sind ja nicht die Sittenpolizei«, erläutere ich ihm. Er bleibt zurück, und ich nehme den Fahrstuhl in die zweite Etage.
    Eigentlich geht es mir nicht darum, Aufsehen zu vermeiden. Ich will nur die Kousta nicht bloßstellen. Ich will sie keinen fremden Blicken aussetzen, wenn ich sie mit ihrem Liebhaber erwische. Ich weiß wirklich nicht, was mich dazu treibt, sie mit Glacéhandschuhen anzufassen. Vielleicht mein schlechtes Gewissen, weil ich sie für eine Kokotte hielt und sie sich als Lady erwies. Wenn ich sie jedoch mit ihrem Liebhaber ertappe, dann bestätigt sich meine erste Einschätzung, und die Kousta alias Fragaki gerät unter Mordverdacht. Trotzdem möchte ich sie nicht vor allen Leuten bloßstellen. Sagen wir einfach: Meine Krankheit ist schuld. So würde sich auch Sotiropoulos ausdrücken, der stets der bequemen Lösung den Vorzug gibt.
    Das Apartment mit dem Namensschild Triantafyllidou ist das letzte auf der linken Seite. Ich drücke auf die Klingel, und eine weißhaarige Sechzigjährige öffnet mir, ganz in Grau und Schwarz gekleidet – graue Bluse, schwarzer Rock, graue Strümpfe, schwarze Hausschuhe. Aus der Mode gekommene Kleidungsstücke, aus einer Zeit, als der Stadtteil Maroussi noch Amaroussion hieß. Unsere Überraschung beruht auf Gegenseitigkeit. Sie hat keinen Unbekannten vor der Tür erwartet, und ich habe in einem Liebesnest nicht mit einer Sechzigjährigen gerechnet. Außer sie vermietet ihre Wohnung an Pensionsgäste. Rooms to let , für eine schnelle Nummer.
    »Was wünschen Sie?« fragt sie.
    »Kommissar Charitos. Ich hätte gern Frau Kousta gesprochen.«
    Ich bemerke ein verdutztes Innehalten und eine kurze Unruhe in ihrem Blick, doch sie hat sich rasch wieder in der Gewalt. »Sie irren sich. Hier gibt es keine Frau Kousta«, antwortet sie mit fester Stimme.
    »Hören Sie mal zu, lassen Sie mich im guten rein, oder muß ich Gewalt gebrauchen?«
    »Keti, laß den Herrn Kommissar herein«, höre ich die Stimme der Kousta aus dem Innern der Wohnung, und meine Drohgebärde fällt in sich zusammen.
    Die Sechzigjährige tritt zur Seite und führt mich in einen kleinen, leeren Flur. Auf der linken Seite steht die Kousta im Türrahmen und lächelt mir entgegen. »Kommen Sie herein, Herr Kommissar«, meint sie und weicht zurück.
    Ich trete in ein spärlich eingerichtetes Wohnzimmer. Ein Tisch mit vier Stühlen und je ein Sessel in den beiden Ecken sind die gesamte Einrichtung. Neben dem Tisch sitzt ein junger Mann um die Fünfundzwanzig in einem Rollstuhl. Sein Kopf ist zur Seite gesunken, und er sieht mit schrägem Blick auf die Welt. Sein Mund steht halb offen, und seine Zunge liegt schwer auf der Unterlippe, während sein Blick auf eine Kuckucksuhr an der gegenüberliegenden Wand geheftet ist. Ich stehe im Zimmer und blicke ihn an, doch er scheint meine Anwesenheit nicht bemerkt zu haben. Seine Hände ruhen auf den Knien. Er hebt sie hoch, klatscht zweimal und läßt sie wieder sinken. Kurz darauf hebt er sie wieder hoch und klatscht erneut zweimal, ohne die Uhr aus den Augen zu lassen, und läßt die Hände wieder fallen. Ich höre Elena Koustas Stimme hinter mir.
    »Mein Sohn«, sagt sie, und ich drehe mich erstaunt zu ihr um.
    Ich sehe, wie sie mir bitter zulächelt. Der Kuckuck

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