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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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lassen?«
    »Ich? Nicht doch! Was mich interessiert, ist: Wie kann man es anstellen, daß ein Politiker oder ein Produkt hohe Umfragewerte erzielt?«
    Ihre Verlegenheit verfliegt, und sie lacht los. »Nichts einfacher als das. Sie als Polizeibeamter werden wissen, daß Betrug die Welt regiert.«
    »Wenn Sie eine Meinungsumfrage bestimmten Wünschen gemäß hinkriegen wollten, wie würden Sie vorgehen?«
    »Ich bin nur mit der Auswertung der Antworten beschäftigt, Herr Kommissar. Ich bearbeite die Daten, die man an mich weiterleitet. Der Betrug passiert bei der Erstellung der Daten, bei der repräsentativen Auswahl, wie man das bei uns nennt. Deshalb ist es schwierig, ihn nachzuweisen.«
    »Das heißt, Sie nehmen die Daten fertig in Empfang.«
    »Genau.«
    »Von wem?«
    »Von den Verantwortlichen für die Zusammenstellung der repräsentativen Auswahl.«
    »Und wer entscheidet, wie die Auswahl aussehen soll?«
    »Frau Arvanitaki.«
    »Vielen Dank«, sage ich und erhebe mich.
    »Woher stammt dieses plötzliche Interesse für Meinungsumfragen?« fragt sie.
    »Das ist nur ein Punkt unter vielen, den ich abklären möchte.«
    »Betrifft es den Tod meines Vaters?«
    »Möglicherweise.«
    Ich lasse sie mit ihrem fragenden Blick allein und steige in die dritte Etage hoch. Die sechzigjährige Sekretärin trägt denselben enganliegenden Blazer und dieselbe an die Nasenwurzel gepreßte Lesebrille wie bei meinem letzten Besuch. Sie registriert mein Eintreten, doch ihre Miene wird nicht feindseliger, als sie von Natur aus ist.
    »Ich möchte Frau Arvanitaki sprechen. Es ist dringend, und es ist mir egal, ob sie zu tun hat oder nicht«, sage ich kurz angebunden.
    Sie wirft einen Blick auf die Telefonanlage vor sich. »Sie spricht gerade. Einen Augenblick.«
    Möglich, daß sie gar nicht telefoniert und die Sekretärin mich mit voller Absicht warten läßt, um ihren Kopf durchzusetzen. Sie läßt mich fünf Minuten schmoren, dann winkt sie mich durch.
    Die Arvanitaki ist in Statistiken vertieft. Um elf Uhr morgens ist sie gekleidet, als ginge sie zu einem Empfang. Sie trägt ein dunkelblaues Kostüm mit einem hellblauen Einstecktuch in der Brusttasche, eine helle Bluse und ist dermaßen überladen mit Goldschmuck wie sonst nur die Ikone der Muttergottes auf der Insel Tinos am Tag nach Maria Himmelfahrt.
    »Wie kommen wir zu der Ehre Ihres Besuchs, Herr Kommissar?« sagt sie mit einem erzwungenen Lächeln.
    »Ich möchte einige Fragen klären, die aus den Nachforschungen erwachsen sind.«
    Das Lächeln erlischt, und ihr Gesichtsausdruck deutet darauf hin, daß ihr meine Einleitung ganz und gar nicht gefällt. »Über die Greekinvest?«
    »Und die R. I. Hellas. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß alles unter uns bleibt«, sage ich, während ich Platz nehme.
    »Einverstanden, obwohl ich nicht wüßte, welches Geheimnis wir beide für uns behalten sollten.«
    Ich schlucke die spitze Bemerkung herunter. Der spöttische Ton wird ihr schon noch vergehen. »Frau Arvanitaki, wie ich festgestellt habe, führen Sie Meinungsumfragen über einen Parlamentsabgeordneten der Regierungspartei und einen der Opposition durch.« Und ich nenne ihr die Namen des Exministers und des Abgeordneten, der Koustas’ Apartment erhalten hat.
    »Richtig.«
    »Wer hat Ihnen den Auftrag zu den Meinungsumfragen erteilt?«
    Sie versucht, der Frage auszuweichen. »Wissen Sie, diese Mitteilungen sind strikt vertraulich.«
    »Hören Sie zu. Ich bin in aller Freundschaft hier und versichere Ihnen, was auch immer wir besprechen, bleibt unter uns. Oder ist Ihnen eine Vorladung zwecks offizieller Zeugenaussage lieber?«
    Sie seufzt und sagt schließlich: »Wir haben den Auftrag von unserer Zentrale, der Greekinvest, erhalten.«
    »Wie haben Sie ihn erhalten?«
    »Per Fax.«
    »Besteht die Möglichkeit, daß die Umfragen, sagen wir mal, in eine bestimmte Richtung gelenkt wurden?«
    »In eine bestimmte Richtung?« wiederholt sie befremdet. »Was meinen Sie damit?«
    »Indem die Art und Weise der Umfrage dem Ergebnis vorgegriffen hat.«
    Sie denkt kurz nach und wägt jedes Wort ab, als sie zu sprechen beginnt. »Meinungsforschungsinstitute sind private Unternehmen, Herr Kommissar. Sie bieten Dienstleistungen an und müssen sich notgedrungen nach den Wünschen Ihrer Kunden richten. Wenn der Kunde eine Untersuchung mit objektiven Resultaten wünscht, dann wird die Untersuchung objektiv durchgeführt. Wenn er ein ihm genehmes Ergebnis wünscht, dann zieht die Untersuchung die vom

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