Nachtfalter
Kunden erbetenen Schlußfolgerungen. Die Firmen wollen natürlich ihren guten Ruf schützen, deshalb treffen sie bestimmte Vorkehrungen.«
»Welche Vorkehrungen?«
»Wenn bei der Untersuchung vermerkt wird, sie sei aufgrund einer ›repräsentativen‹ Auswahl erfolgt, dann heißt das, sie ist objektiv. Wenn das Wort ›repräsentativ‹ fehlt, dann kann es sein, daß sie nicht ganz so objektiv ist.«
»Was verstehen Sie unter ›repräsentativer‹ Auswahl?«
Die Arvanitaki lächelt. »Nehmen wir mal eine politische Partei. Wenn Leute in ganz Griechenland befragt werden, spricht man von repräsentativ. Wenn wir jedoch nur die Leute aus den traditionellen Hochburgen interviewen, dann ist die Auswahl nicht objektiv.«
»Und was ist im Fall der beiden Abgeordneten passiert?«
Sie seufzt erneut. »Der Auftraggeber hat uns die Art und Weise der Untersuchung vorgegeben.«
»Das heißt?«
»Er hat von uns verlangt, die Auswahl bei politischen Auftritten oder nur im Wahlbezirk der Abgeordneten vorzunehmen.«
»Und weil sich bei den politischen Auftritten normalerweise nur Anhänger des Politikers einfinden und er in seinem Wahlkreis besonders bekannt ist, erhöht sich der Prozentsatz seiner Beliebtheit.«
»Genau.«
»Und wie kommt es dazu, daß der Exminister beliebter ist als sein eigener Parteichef?«
Sie blickt mich an und druckst herum. »Sie bringen mich in eine schwierige Lage, Herr Kommissar.«
»Meine Position ist auch schwierig, Frau Arvanitaki.«
»Habe ich Ihr Wort, daß alles unter uns bleiben wird?« Jetzt verspottet sie mich nicht mehr und hat sich aufs Bitten verlegt.
»Das haben Sie. Ich benötige die Informationen für mich persönlich.«
»Es wäre – theoretisch gesehen – denkbar, eine repräsentative Untersuchung über eine Partei und ihren Vorgesetzten durchzuführen und dann das objektive Ergebnis des Parteichefs mit dem subjektiven des Exministers zu vergleichen. So erscheint der Exminister beliebter als der Parteichef.«
»Und das ist kein Betrug?«
»Ich würde es als Kunstgriff bezeichnen, Herr Kommissar.«
Und da wir heutzutage alle mit Kunstgriffen operieren, ist der Betrug salonfähig geworden. Das ist etwas, was Niki Kousta mit ihrem unschuldigen Lächeln nicht erfassen kann.
»Und wenn jemand hinter den Kunstgriff kommt?«
Sie lacht zum ersten Mal ungezwungen und gelöst auf. »Kommen Sie, wer bohrt hier schon nach? Üblicherweise kosten die mit den hohen Umfragewerten ihren Triumph aus. Und die mit den niedrigen Werten argwöhnen, daß die Untersuchung gefälscht ist, haben jedoch keine Fakten in der Hand, um das zu beweisen. Denn die Daten halten wir unter Verschluß. Und da diejenigen mit den niedrigen Umfragewerten die Untersuchung in der Regel zurückweisen, glauben die Leute uns und nicht ihnen.«
Ich erhebe mich, da es nichts mehr zu fragen gibt. Nun weiß ich, wie Koustas künstlich Politikerprominenz züchtete, wenn es seiner Sache dienlich war. Außerdem kenne ich nun den Kunstgriff, mit dem Meinungsumfragen gefälscht werden, und ich beglückwünsche mich dazu, daß ich ihnen nie Glauben geschenkt habe.
48
D as Büro des Exministers liegt in der Akadimias-Straße, in einem dieser Prachtbauten, die Anwaltskanzleien und Notariate beherbergen. Wahrscheinlich war er selbst früher Rechtsanwalt, bevor er sich zur großen Freude der Anwaltskammer ins Parlament verabschiedete. Das ist der Lauf der Dinge: Die unfähigen Ökonomen werden Buchhalter, und die unfähigen Anwälte Parlamentsabgeordnete.
In dem großen Warteraum stehen Holzstühle rings um ein Tischchen mit alten Zeitschriften. Die Wände werden exklusiv vom fotogenen Herrn Minister beherrscht. Ein Porträt, auf dem er seinen Wählern von oben herab zulächelt, eine Großaufnahme, auf der er vor einem Transparent der Menge zuwinkt, eine Fotografie, die ihn neben dem Parteichef zeigt, und viele weitere Bilder mit ausländischen Industriellen und Militärs. Ich blicke mir ein Konterfei nach dem anderen an und frage mich, wie sich die Aktaufnahme mit Kalia dazwischen ausnehmen würde.
Auf den Stühlen sitzen ein älterer Herr, ein Mann mittleren Alters, der eine Plastiktüte neben sich abgestellt hat, und eine Fünfzigjährige mit Kopftuch. Am Ende des Raumes befindet sich eine gläserne Trennwand. Am Schreibtisch davor sitzt eine farb- und ausdruckslose junge Frau. Offensichtlich ist sie die Tochter eines Parteigängers, die darauf wartet, durchs Hintertürchen eine Stelle im öffentlichen Dienst zu
Weitere Kostenlose Bücher