Nachtfalter
und ich mich an seine eisige Miene. Verlegen grinsen wir uns an.
Der Anfang des Gesprächs verläuft holprig und versiegt nach kurzem Anlauf – wir sagen, wie veränderlich das Wetter in diesem Jahr sei. Wir sind einer Meinung und verstummen. Dann erzählt Ousounidis, es sei starker Verkehr auf den Straßen, weil die Athener jeden Samstag einkaufen gehen. Wir lachen und verstummen erneut. Ich habe plötzlich keine Kraft mehr, mich als anregender Gastgeber zu erweisen. Glücklicherweise sitzen wir alle in Kürze am Tisch, der Zackenbarsch wird aufgetragen, und der Austausch von Höflichkeitsfloskeln beginnt. Ousounidis erzählt, daß seine Eltern in Veria wohnten und er allein in Athen lebe und wie sehr ihm deshalb die gute Hausmannskost abgehe. Das Lächeln will gar nicht mehr aus Adrianis Gesicht verschwinden, und ich bin mit meinen Sorgen allein.
Wären die beiden Parlamentsabgeordneten nicht in den Fall verwickelt, würde mir die Sache wahrscheinlich nicht so großen Schaden zufügen. Wegen Überschreitung der Befugnisse erhält man weder eine schwere Strafe, noch wird man deswegen in Frührente geschickt. Das Dumme ist, daß ich nicht weiß, wie weit der Ministerialdirektor gehen will. Wenn er mich zurückhält, um den Fall leichter ad acta legen zu können, dann schwebe ich in keiner großen Gefahr und werde mit einem mündlichen Verweis davonkommen. Wenn er jedoch beschlossen hat, sich die beiden Abgeordneten gefügig zu machen, dann wird er mich möglicherweise in Frührente schicken, damit sie sich ihm verpflichtet fühlen und er sie noch fester an sich ketten kann.
Und wie sollen wir finanziell mit einer gekürzten Rente über die Runden kommen? Was ist mit den Lebenshaltungskosten, der Miete und Katerinas Studium, das mindestens noch zwei Jahre bis zum Abschluß ihres Doktorats dauern wird? Soll ich dem Kind sagen, daß es die Doktorarbeit bleibenlassen soll, weil sein Vater ein Vollidiot ist, der gerne den Helden spielt und gegen Politiker ins Feld zieht?
»Papa!«
Von Gikas kann ich jedenfalls keinerlei Unterstützung erwarten. Ich habe es geschafft, ihn in Rage zu versetzen. Wenn ich ihn auf meine Seite ziehen könnte, würde er möglicherweise ein gutes Wort für mich einlegen. Das Wort eines gestandenen Kriminaldirektors hat Gewicht!
»Paps, wo bist du gerade? Man spricht mit dir!«
Ich hebe meinen Kopf vom Zackenbarsch, als wachte ich aus dem Tiefschlaf auf, und sehe drei auf mich geheftete Augenpaare. Adriani hat den Giftblick ihrer Mutter aufgesetzt, mit dem die sie wegen schlechter Tischmanieren wortlos zu rügen pflegte, während Katerina erst einmal fragend dreinschaut. Ousounidis’ Blick ist der schlimmste. Er mustert mich auf dieselbe eiskalte Weise, mit der er mich an jenem Tag im Krankenhaus ansah. Aus, vorbei, ich habe alles verdorben, denke ich. Jetzt wird er erst recht sicher sein, daß ich ihn nicht leiden kann und meinen Unmut sogar bei mir zu Hause zur Schau stelle. Wie soll ich dann Katerina davon überzeugen, daß er sich frostig verhält und nicht ich.
»Entschuldigung. Gestern ist mir im Dienst etwas Unangenehmes passiert.«
»Dir geht dein Dienst aber auch nie aus dem Kopf«, setzt Adriani nach. »Selbst wenn wir Gäste haben. Was ist denn wieder vorgefallen? Jagst du irgendeiner Einzelheit hinterher? Mit solchen Kleinigkeiten quälst du dich doch die ganze Zeit herum.«
Mit einem Schlag hat mich alles im Würgegriff: Gikas, der allesfickende Exminister mit seinen Fotografien, die Unsummen, die von der Schwarzgeldmafia reingewaschen werden, worum sich keiner zu kümmern scheint, und die Ungerechtigkeit, daß ich meinen Kopf für alles hinhalten muß. Eine Hand drückt meine Kehle zu, und ich spüre, daß ich platze, wenn ich nicht sofort alles rauslasse. Dennoch dringt meine Stimme, als ich zu sprechen anfange, nicht laut, sondern heiser und gebrochen aus meiner Brust.
»Ich bin vom Dienst suspendiert worden.«
Ein Geräusch, ähnlich wie Glockenklingen, ist zu hören. Es ist Adrianis Gabel, die ihr aus der Hand auf den Teller gefallen ist. Ousounidis’ Miene wechselt schlagartig von unterkühlt zu besorgt. Er wendet sich zu Katerina und blickt sie bedrückt an. Vielleicht fürchtet er, ich könnte ohnmächtig werden, doch meine Tochter reagiert gefaßter als die anderen.
»Was ist passiert?« fragt sie sanft. »Warum hat man dich vom Dienst suspendiert?«
Jemand hat einmal gesagt, der Elefant sei das langsamste Tier auf der Welt, bis zu dem Zeitpunkt, wo er zu
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