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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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laufen beginnt. Das gleiche geschieht jetzt mit mir. Während ich mich bislang zum Schweigen gezwungen habe, bricht nun alles aus mir hervor. Ich beginne mit Petroulias’ Leiche auf der Insel und ende bei meiner gestrigen Unterredung mit dem Ministerialdirektor. Meine Beichte bestätigt den bekannten Bullenspruch: Rede endlich, damit dir leichter wird. Sowie ich geendet habe, fühle ich mich ruhig und erlöst.
    »Und man hat dich vom Dienst suspendiert, weil du einen Abgeordneten verhört hast?« fragt mich Katerina, als könne sie es nicht fassen.
    »Einen Exminister.«
    »Wenn schon, dann eben einen Exminister.«
    »Also, wenn ihr mich fragt – unter der Junta war alles besser«, wirft Adriani ein. »Damals hatte der Staat wenigstens noch Respekt vor den Polizeibeamten.«
    »Komm wieder auf den Boden, Mama!« ruft Katerina empört. »Der hatte doch nichts für Polizisten übrig. Der ließ sie nur die kleinen Leute foltern!«
    »Hat dein Vater jemals irgend jemanden gefoltert?« Als ob ich es ihr auf die Nase gebunden hätte, wenn ich es getan hätte.
    »Was hat das alles miteinander zu tun?«
    »Eine ganze Menge. Deshalb ist er jetzt nämlich vom Dienst suspendiert.«
    »All das hat mit der Junta nichts zu tun, Frau Charitou«, sagt Ousounidis nachsichtig zu ihr. Dann wendet er sich mir zu. »Wissen Sie, als ich im Krankenhaus meine Stelle antrat, überschlugen sich alle Kollegen vor Hilfsbereitschaft und Entgegenkommen, und ich war von meiner Arbeit ganz begeistert. Nach einem Semester begannen sie plötzlich, auf Distanz zu gehen. Sie wichen mir aus, tuschelten hinter meinem Rücken und warfen mir schiefe Blicke zu. Ich zermarterte mir das Hirn deshalb, bis mich eines Tages der Chefarzt zu sich rief und fragte, ob ich von den Patienten Geldbriefchen entgegennähme. ›Wer behauptet, daß ich mir Geld zustecken lasse, ist ein Lügner‹, sagte ich entrüstet. ›Sie tun gut daran, keine Geldgeschenke anzunehmen‹, war seine Antwort, ›nur sollten Sie das verschweigen. Sagen Sie einfach, Sie nähmen Geldbriefchen.‹«
    »Er wollte nicht, daß Sie Geldgeschenke annehmen, aber Sie sollten den andern vorlügen, daß Sie doch welche nehmen?« frage ich baff.
    »Das fragte ich ihn auch. Wissen Sie, was er mir geantwortet hat? ›Ich will nur Ihr Bestes. Sonst werden Ihnen die anderen das Leben zur Hölle machen, und Ihre Patienten werden das büßen müssen.‹«
    »Und was hast du gemacht?« fragt Katerina.
    »Ich habe das ein wenig abgewandelt«, entgegnet er lachend. »Ich nehme nach wie vor keine Geldbriefchen, aber ich behaupte auch nicht ausdrücklich, welche einzustecken, sondern deute es nur an.«
    Ich denke, daß mir das nicht in den Kopf gehen wollte, was der Arzt begriffen hat: daß der Unterschied nicht zwischen Moral und Unmoral liegt, sondern darin, welchen Anschein man sich gibt. Der Exminister hat bei Koustas abgesahnt, aber so getan, als würde er nichts erhalten. Der Arzt bekommt keine Zuwendungen von den Patienten, aber tut so, – als bekäme er welche. Der eine ist dem Anschein nach moralisch, der andere dem Anschein nach unmoralisch. So sollte auch ich begreifen, daß der Exminister zwar in Koustas’ Geldwäschereien verwickelt ist, ich jedoch so tun sollte, als merkte ich es nicht, um mir den Anschein eines korrekten Polizeibeamten zu geben und mich aus allem rauszuhalten.
    Adriani, die sich die ganze Zeit auf die Lippen gebissen hat, springt abrupt auf und läuft aus dem Zimmer. Mir ist klar, daß sie sich in die Küche zurückzieht, um sich auszuweinen. Nicht deshalb, weil ihr die Dienstsuspendierung Angst einjagt, sondern weil sie sich persönlich gekränkt fühlt, wenn man mich ungerecht behandelt. Ich stehe auf und will ihr hinterher, um sie zu trösten, doch Katerina hält mich zurück.
    »Laß sie, das tut ihr gut«, meint sie.
    Und tatsächlich kehrt sie kurz darauf mit einem Lächeln auf den Lippen zurück. Wenn sie geweint hat, dann muß sie sich gleich wieder frisch gemacht haben, denn man merkt ihr nichts an. Das Gute an meiner Beichte ist, daß die Stimmung an Herzlichkeit gewonnen hat und wir nach kurzem viel gelöster miteinander umgehen. Als der Arzt und Katerina gegen sechs Uhr beschließen, bummeln zu gehen, haben wir einander bereits fest versprochen, uns nach Katerinas Abreise wiederzusehen. Adriani zieht sich in die Küche zurück, und Katerina geht sich umziehen.
    »Wie alt ist denn dieser Ministerialdirektor, der dich vom Dienst suspendiert hat?« fragt Ousounidis, als

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