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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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wir allein zurückbleiben.
    »Um die Fünfundvierzig.«
    »Wir hatten da einen Professor für Psychiatrie an der Uni. Weißt du, was er immer zu uns sagte?«
    »Was?«
    »›Wehe euch, wenn die Generation der siebziger Jahre, die das Polytechnikum besetzt hatte, das Chirurgenmesser in die Hand kriegt!‹ Er hat sich allerdings gewaltig geirrt.«
    »Wieso?«
    »Weil die aus der Generation der Siebziger keine Chirurgen geworden sind. Die haben es sich gerichtet und sitzen heute in der Regierung. Das ist das Drama.«
    Ich sehe nicht ein, wo hier das Drama liegt. Damals prügelten wir sie, heutzutage stecken wir ihre Schläge ein. Nicht mehr und nicht weniger.

51
    W as mir am Samstag erspart geblieben ist, tritt sonntags ein. In der Nacht von Samstag auf Sonntag, um ganz genau zu sein. Ich fühle mich hundeelend, schrecke alle halbe Stunde aus dem Schlaf hoch und wälze mich dann eine weitere halbe Stunde im Bett, bis ich wieder einschlafe. Adriani spürt, wie unruhig ich bin. Ab und zu schlägt sie die Augen auf, doch ich stelle mich jedesmal schlafend.
    Am Morgen wache ich um neun auf, vollkommen erledigt und mit heftigem Herzklopfen. Ich fühle meinen Puls, der auf 105 hochgeschnellt ist. Ich nehme ein Interal und lege mich, mit dem Blick zur Zimmerdecke, aufs Bett. Ich denke, daß mir jetzt das Blättern in einem Wörterbuch guttäte. Doch ich kann mich nicht dazu aufraffen, ins Regel zu greifen. Adriani kommt nach einer Weile ins Schlafzimmer und fragt besorgt nach meinem Befinden.
    »Es ist nichts, raub mir nicht den letzten Nerv«, fahre ich sie an, um weiteres Nachbohren zu unterbinden.
    Um elf ist das Herzrasen immer noch nicht zurückgegangen, der Puls liegt bei 100, und ich nehme ein zweites Interal. Meine Angst vor einem weiteren Krankenhausaufenthalt ist groß, als Katerina hereinkommt.
    »Mein Koffer ist gepackt«, meint sie beim Eintreten. Doch als sie merkt, daß ich keine Miene verziehe und weiter an die Decke starre, fragt sie: »Was hast du?«
    »Kein Wort zu deiner Mutter: Ich habe entsetzliches Herzrasen. Ich habe schon zwei Interal eingenommen, aber es hilft nichts.«
    Sie geht wortlos hinaus und kehrt mit einem Glas Wasser und einer halben Tablette zurück.
    »Was ist das?«
    »Lexotanil. Das schickt dir Fanis.«
    »Ist er da?«
    »Nein, er hat es gestern abend in einer Apotheke besorgt, die Nachtdienst hatte. Er meinte: ›Wenn dein Vater Herzklopfen hat, gib ihm ein halbes Lexotanil, und es wird ihm gleich bessergehen.‹ Komm, nimm schon.«
    Ich habe keine Kraft, mich zu widersetzen, und schlucke es.
    »Wenn uns Mama jetzt sehen könnte, würde sie sagen: ›Siehst du, wie gut es ist, einen Arzt in der Familie zu haben?‹« Und sie lacht. Dann beugt sie sich zu mir herunter und umarmt mich. »Nimm es dir nicht so zu Herzen, sie werden dir nichts tun«, sagt sie. »Es nützt ihnen doch auch nichts, die Sache bis zum Äußersten zu treiben. Sie werden den Fall vertuschen und das Disziplinarverfahren einstellen.«
    »Gikas aber nicht.«
    »Gikas wird das tun, was ihm seine Vorgesetzten sagen. Deshalb hat er es ja auch zum Chef gebracht, während du nicht befördert worden bist.«
    »Macht es dir was aus, daß ich nicht befördert worden bin?«
    »Überhaupt nicht. Fanis wird auch nie vorwärtskommen, so wie es aussieht. Doch das stört mich genausowenig.«
    Nach einer Dreiviertelstunde muß ich – wenn auch mit einiger Verspätung – zugeben, daß Ousounidis ein guter Arzt ist, und steige aus dem Bett. Ich gehe in die Küche, wo Adriani und Katerina sitzen und plaudern.
    »Bist du aufgestanden?« fragt Adriani erleichtert. »Soll ich dir einen Kaffee machen?«
    »Gern.«
    Während ich den Kaffee trinke, läutet das Telefon, und Katerina geht ran. »Papa, es ist Fanis, er will dich sprechen«, ruft sie aus dem Wohnzimmer.
    »Woher hast du gewußt, daß ich Herzklopfen bekommen würde?« frage ich ihn.
    Er lacht. »Die Diagnose lag ja auf der Hand«, meint er. »Das hat nichts mit deinem Herz zu tun, sondern kommt durch den Streß. Wie fühlst du dich jetzt?«
    »Es ist nicht mehr so schlimm.«
    »Schön. Wenn es morgen wieder einsetzt, wenn du die Akten übergibst, solltest du nicht erschrecken. Nimm noch mal ein halbes Lexotanil. Wenn du merkst, daß es nicht hilft, melde dich bei mir. Katerina hat meine private und meine dienstliche Telefonnummer.«
    »Vielen Dank.«
    »Bedank dich nicht. Schließlich bin ich dein Arzt.« Er hält kurz inne und fügt hinzu: »Bleib heute nicht zu Hause. Geh

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