Nachtfalter
Petroulias’ Nachbarin. Dann nehme ich Koustas’ Mappe zur Hand. Ich durchsuche sie mit Akribie. Kein Schriftstück darf mir entgehen, damit man mir nicht auch noch unterstellen kann, ich hätte Hinweise vorsätzlich zurückgehalten. Unter anderen Umständen würde ich Gikas noch eine ausführliche Zusammenfassung über jeden Fall schreiben, damit er sich leichter zurechtfindet. Aber er hat nur die Akten verlangt, und ich habe keine Lust, auch nur einen Handschlag darüber hinaus zu tun.
Sotiropoulos tritt ein, als ich die Schriftstücke gerade nach ihrem Datum ordne. Üblicherweise kommt er gegen elf, doch heute hat er sich beeilt, um festzustellen, welchen Eindruck seine gestrige Reportage bei mir hinterlassen hat. Er bringt mich in Verlegenheit, denn ich weiß nicht, ob ich mich bei ihm bedanken oder einfach so tun soll, als hätte ich sie nicht gesehen. Glücklicherweise rettet er mich aus dem Dilemma.
»Sie sind schlauer, als ich dachte«, sagt er. »Sie haben mich in dem Glauben gelassen, Sie wüßten von nichts, während Sie es geschafft haben, Koustas’ gesamtes System auseinanderzunehmen. Hier lag aber auch Ihr Denkfehler.«
»Welcher Denkfehler denn? Meinen Sie den, daß ich die Sache überhaupt in Angriff genommen habe?«
»Nein, daß Sie nicht geredet haben. Wenn Sie auch nur einen kleinen Teil dessen, was Sie wußten, nach außen hätten dringen lassen, dann hätte man nicht gewagt, Sie anzutasten. Sie aber spielen einerseits den treuen Polizeihund, andererseits wollen Sie Ihren Kopf durchsetzen. Das eine läuft dem anderen zuwider, und so stehen Sie immer als Verlierer da.«
»Warum haben Sie das getan?« frage ich ihn unvermittelt.
»Was getan?«
»Na das, gestern abend. Sich hinzustellen und eine Lobeshymne anzustimmen. Wozu? Wir kennen uns zwar schon jahrelang, aber mir war noch nicht aufgefallen, daß wir eine besonders große Sympathie füreinander hegen.«
Er zuckt mit den Schultern. »Das habe ich nicht für Sie getan, sondern für mich selbst.«
»Für Sie selbst?«
»Ja. So wie unsere Arbeit heutzutage aussieht, wühlen wir tagtäglich im Dreck. Ab und zu muß ich meinen Kopf in die Höhe strecken und kurz Atem schöpfen. Sonst ersticke ich in dem Sumpf. Sie haben eine gute Gelegenheit dazu geboten, das ist alles.«
Ich mustere seine Aufmachung – das Armani-Hemd und die Timberland-Schuhe. Irgendwo im tiefsten Inneren glüht trotzdem noch ein kleiner kommunistischer Funke in ihm. Er dreht sich um und geht zur Tür. Bevor er hinausgeht, bleibt er kurz stehen.
»Jedenfalls ist es noch nicht zu spät«, meint er.
»Wofür?«
»Zu reden. Wenn man Sie vom Dienst suspendiert, lassen Sie Ihr Wissen doch einfach an die Presse durchsickern. Dann wird man sich hüten, Sie zu behelligen, das garantiere ich Ihnen. Meine Telefonnummer haben Sie ja.«
Ich blicke ihm nach, wie er durch die Tür verschwindet. Auch er hat denselben Weg eingeschlagen: vom Sein zum Schein, vom KP-Anhänger zum Abziehbild eines KP-Anhängers. Dem Anschein nach erstickt er im Sumpf, doch aus seiner angeblich uneigennützigen Tat möchte er durchaus Profit schlagen.
Ich klemme mir die beiden Aktenordner unter den Arm und mache mich auf den Weg zu Gikas.
»Na so was, heute geht’s aber rund!« sagt Koula, als sie mich erblickt. »Seit dem frühen Morgen läuft das Telefon heiß. Der Ministerialdirektor allein hat schon dreimal angerufen. Von den Journalisten ganz zu schweigen.«
Er hat dreimal angerufen, weil er ungeduldig darauf wartet zu erfahren, ob ich die Akten übergeben habe. »Keine Sorge, bald ruft niemand mehr an«, entgegne ich und trete in Gikas’ Büro, ohne ihre Erlaubnis einzuholen. Da es alle so eilig haben, in den Besitz der Akten zu kommen, kann man sich Höflichkeitsfloskeln getrost sparen.
Gikas steht am Fenster und bewundert die Aussicht, das heißt: die Kirche des hl. Savvas und das alte Fußballstadion des Panathinaikos-Vereins. Er hört die Tür ins Schloß fallen und dreht sich um. Er sieht, daß ich es bin, und setzt sich an seinen Schreibtisch, um die Dokumente in offizieller Pose in Empfang zu nehmen. Ich lege die Aktenordner auf den Schreibtisch.
»Petroulias’ und Koustas’ Akte. Sie sind vollständig, es fehlt nichts.«
Er blickt mich an, ohne sie anzurühren. Klar, jetzt mimt er den am Boden Zerstörten, doch gleich wird er sagen, ich sei ja selbst an allem schuld. Er legt es darauf an, daß ich von Gewissensbissen heimgesucht werde, weil ich ihn in Schwierigkeiten gebracht
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