Nachtfalter
hoch.
»Ja. Ich habe in den Cafés, in den Läden nachgefragt. Keiner hatte sie gesehen.« Jetzt kann sie sich nicht mehr beherrschen und bricht in Tränen aus. Sie setzt unter Schluchzen ihre Erzählung fort. »Ich kehrte zum Segelboot zurück und versuchte die ganze Nacht, mit meinem Vater Verbindung aufzunehmen. Spätabends sagte mir Elena, daß er ihr telefonisch Bescheid gegeben habe, er hätte in Larissa etwas Geschäftliches zu erledigen. Sein Mobiltelefon war nach wie vor tot. Es wurde Tag, und Christos war nicht zurückgekommen. Ich lief zum Hafen und wartete das erste Schiff ab, das die Insel verlassen sollte. Ich hatte die verrückte Hoffnung, daß sie ihn vielleicht nach Piräus mitnehmen würden. Ich sah den Wagen mit den drei ohne Christos auf die Fähre fahren und begriff, daß er nicht mehr zurückkommen würde. Ich packte unsere Sachen, rief bei der Charterfirma an und erklärte, Herr Petroulias sei unerwartet erkrankt und man habe ihn nach Athen transportiert. Dann nahm ich das nächste Linienschiff zurück.«
»Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?«
Sie holt tief Luft. Es gelingt ihr, das Schluchzen unter Kontrolle zu bringen, und sie lächelt bitter. »Als ich nach Athen zurückkehrte, ging ich sofort zu meinem Vater und warf ihm alles an den Kopf. ›Ich hatte dir doch gesagt, du sollst die Finger von ihm lassen. Denn er war ein Arschloch, und ich wußte, man würde ihn umlegen. Doch du hast nicht auf mich gehört‹, sagte er gleichgültig zu mir. Ich drohte ihm, ich würde zur Polizei gehen. ›Geh ruhig‹, war seine Antwort. ›Wie willst du beweisen, daß ich mit dem Mord etwas zu tun habe? Weil er es dir gesagt hat? Ich war an seinem Todestag in Athen und danach in Larissa. Ich habe zwanzig Zeugen, die das bestätigen können. Eines Tages wirst du mir dankbar sein, daß ich dich vor diesem Arschloch bewahrt habe‹, war sein letzter Satz. Wäre ich zur Polizei gegangen, was hätte ich dort erzählen sollen? Ich verfügte über keinerlei Beweise, Herr Kommissar. Nur das, was mir Christos gesagt hatte, und Christos war tot. Aber selbst wenn ich Beweise gehabt hätte, wie hätte ich behaupten können, daß Christos getötet wurde, ohne dabei zu offenbaren, daß mein Vater sein Mörder war? Wollte ich meinen Vater ins Gefängnis bringen? Und würde Christos dadurch wieder lebendig? Seit damals habe ich nicht mehr mit meinem Vater gesprochen. Am nächsten Tag ließ ich mir die Haare schneiden und färben. Ich konnte mich im Spiegel nicht mit langen blonden Haaren sehen. Ich hatte den Eindruck, ständig Christos neben mir zu sehen.«
Sie holt noch einmal tief Luft und fügt fast erleichtert hinzu: »Das ist die ganze Wahrheit, Herr Kommissar.«
»Wozu hatte er den Reisepaß dabei?«
»Ich hatte meinen auch dabei. Wir hatten vor, von Samos aus in die Türkei zu reisen.«
Du hast vielleicht vorgehabt, in die Türkei überzusetzen, Petroulias aber plante, sich aus dem Staub zu machen, denke ich. Ich frage mich, ob ich sie hierbehalten sollte. Ihre Version der Geschichte wird durch die Ermittlungen gestützt. Und auch die Art, wie sie sie erzählte, läßt nicht auf ein Lügengebilde schließen. Überdies spricht die Fotografie für sie. Wenn man vorhat, jemanden direkt oder indirekt umzubringen, dann läßt man sich nicht mit seinem Opfer zusammen ablichten.
»Wieso haben Sie mir das alles nicht erzählt, als ich Sie nach dem Tod Ihres Vater verhört habe? Da lief er doch keine Gefahr mehr, im Gefängnis zu landen.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Seine Ermordung kam mir wie eine Art Sühne vor. Hätte ich es Ihnen gesagt, hätte sich nichts geändert, und ich hätte nur Elenas und Makis’ Leben durcheinandergebracht, die beide nichts von allem wußten. Vor allem Makis. Er hat schon genug Probleme, ich muß ihm nicht noch weitere aufbürden.«
»Haben Sie die Aufnahmen an Ihren Vater geschickt?«
Sie blickt mich überrascht an. »Welche Aufnahmen?«
»Eine Fotografie der Insel und eine zweite von dem Ort, wo Christos Petroulias begraben wurde. Ich habe sie in einem Safe Ihres Vaters gefunden. Haben Sie sie ihm geschickt?«
»Meinen Sie, mir stand der Sinn danach, diese Sehenswürdigkeiten zu fotografieren?« fragt sie mit bitterer Ironie.
»Ich weiß nicht, möglich. Vielleicht haben Sie die Fotos geschossen, um ihn zu erpressen.«
»Aus welchem Grund? Wenn ich Geld wollte, konnte ich das jederzeit auch ohne Erpressung von ihm bekommen.«
Richtig. Koustas hätte ihr liebend
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