Nachtfalter
schreit er. »Erinnern Sie mich bloß nicht an die Nutte!« Er bemerkt mein Stutzen und beeilt sich, seine Reaktion zu erläutern. »Sie hat mich sitzenlassen«, brüllt er, und seine Worte dröhnen durch die Werkstatt. »Sie ist mit einem Fleischgroßhändler abgehauen. Ich habe ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. All die Wagen, die Sie da draußen sehen, haben ihre Kleider, ihre Schuhe, ihre Ringe finanziert. Jeden Abend konnte sie auf den Tischen der Nachtklubs Bauchtanz tanzen, und ich habe sie mit Blütenblättern überschüttet. Ich lag ihr zu Füßen wie ein Fußabtreter, und sie hat mir wegen eines Fleischgroßhändlers den Laufpaß gegeben!«
Er hat alles herausgestoßen, ohne Luft zu holen, und nimmt schwer atmend Platz. Daß er ihr das Leben mit seinen Anzeigen und dem ewigen Hin und Her mit der Polizei zur Hölle gemacht hat, erwähnt er nicht. Ganz abgesehen davon, daß seine knackige Frau einem Fleischgroßhändler viel besser zu Gesicht steht.
»So was kann jedem passieren«, sage ich, um ihn zu trösten und seine Sympathie zu gewinnen.
»Ist Ihnen so was schon mal passiert?«
»Nein, Gott sei Dank nicht.«
»Also reden Sie nicht dumm daher, daß solche Dinge jedem passieren können«, entgegnet er barsch.
Ich sehe, daß mir das Gespräch zu entgleiten droht, und komme zum eigentlichen Thema. »Hören Sie, ich bin hergekommen, um Sie etwas zu fragen. Können Sie sich an Folgendes erinnern? Einige Tage vor der Nacht, in der wir uns getroffen haben, waren Sie schon mal auf dem Polizeirevier gewesen, um jemanden anzuzeigen, der mit seinem Wagen die Fahrbahn blockierte. Sie hatten einen handfesten Streit vom Zaun gebrochen.«
»Ach, der«, meint er gleichgültig. »Ich habe die Anzeige zurückgezogen. Seitdem mich Fofo verlassen hat, habe ich keine Lust mehr auf langwierige Rechtsstreitereien.«
»Können Sie sich erinnern, ob Sie dort in der Gegend – auf dem Weg vom Polizeirevier in die Anexartisias-Straße, als Sie Ihren Wagen holten – ein Motorrad der Marke Yamaha mit zwei Männern drauf gesehen haben?«
»Was reden Sie denn da? Ich hätte den Kerl mit bloßen Händen erwürgen können, und Sie fragen mich, ob mir eine Yamaha mit zwei Männern aufgefallen ist?«
»Manchmal erinnert man sich an Dinge, von denen man glaubte, sie wären einem nicht aufgefallen. Sehen Sie mal, sagt Ihnen das hier etwas?« Und ich zeige ihm das Phantombild des Weißhaarigen.
Er wirft gerade mal einen kurzen Blick darauf. »Ich kann mich nicht einmal erinnern, wie ich in den Wagen gestiegen bin, wie soll mir da dieser Typ etwas sagen?« meint er.
Die folgende Frage wird ihm nicht gefallen, doch ich bin gezwungen, sie ihm zu stellen. Möglicherweise hat seine Frau die Yamaha bemerkt. »Wo wohnt Ihre Frau jetzt?«
Sein Blick verdüstert sich. »Woher soll ich das wissen? Bei dem Fleischgroßhändler. Fragen Sie auf dem zentralen Fleischmarkt nach, um es herauszukriegen.«
Die Idee ist gar nicht mal so abwegig. Der Fleischgroßhändler wird sich damit aufspielen, daß er ein solches Klasseweib erobert hat. Somit wird es nicht schwer sein herauszufinden, wo sie wohnt.
Moraitis ist in seine Depression zurückverfallen. Ich lasse ihn mit den Erinnerungen an seine knusprige Ehefrau und seine Anzeigen allein.
Um von Egaleo nach Nea Ionia zu kommen, sind zwei Interal und drei Lexotanil vonnöten. Es ist mittlerweile zwei Uhr mittags, und die Hitze im Mirafiori ist unerträglich. Ich bin verschwitzt, trotzdem halte ich die Fenster geschlossen, um den Smog nicht einatmen zu müssen. Ich beiße die Zähne zusammen, bis ich in den Konstantinopoleos-Boulevard einbiege, doch dort gebe ich es auf und kurble das Fenster herunter. Als ich schließlich in die Kachramanou-Straße abzweigt, blicke ich auf die Uhr und stelle fest, daß es mittlerweile fünf nach halb vier ist. Ich habe eine Stunde und fünfunddreißig Minuten gebraucht, um von der Patroklou- in die Kachramanou-Straße zu gelangen.
Prodromos Tersis’ Textilbetrieb für Kinderkleidung ist ein großer, ebenerdiger Raum mit hohen Fabrikfenstern. Drinnen stehen drei Arbeitsbänke und eine Bügelmaschine. An zwei der Arbeitsbänke nähen Frauen Kleider. Die Arbeiterinnen an der Bügelmaschine haben heute ihren freien Tag.
»Wo ist Herr Tersis?« frage ich eine der jungen Näherinnen.
Sie deutet auf einen etwa Fünfundvierzigjährigen, der im Hintergrund über die dritte Arbeitsbank gebeugt steht. Ihm gegenüber steht ein Ehepaar und läßt sich
Weitere Kostenlose Bücher