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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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gerne Geld bezahlt, um ihren Zorn zu dämpfen. »Ich möchte, daß Sie sich ein Phantombild des Weißhaarigen ansehen, das wir gerade anfertigen, und dann lasse ich Sie gehen«, sage ich. »Aber ich werde Sie möglicherweise zu einer ergänzenden Aussage vorladen.«
    Sie zuckt mit den Schultern. »Rufen Sie an, wann immer Sie wollen, und ich komme. Es ist nicht nötig, daß Sie mich herbringen lassen und mich bloßstellen.«
    Ich rufe Dermitzakis auf einer Dienstleitung an und frage, wie weit das Phantombild ist.
    »Es ist fast fertig. In fünf Minuten haben Sie es.«
    Aus den fünf Minuten wird eine Viertelstunde, die wir schweigend hinter uns bringen. Niki Kousta ist in Gedanken versunken, während ich versuche, meine Aufzeichnungen für Gikas in eine logische Reihenfolge zu bringen. Dermitzakis bringt schließlich das Porträt. Der Zeichner hat es vor einem dunklen Hintergrund gemalt, um das weiße Haar zur Geltung zu bringen. Ich mustere das Gesicht eines Fünfzigjährigen, das mir nichts sagt. Seine Züge sind mir vollkommen unbekannt.
    »Ist das der Weißhaarige?« frage ich die Kousta und reiche ihr das Phantombild.
    Sie nimmt es entgegen und betrachtet es eine ganze Weile. »In groben Zügen sieht es ihm ähnlich«, meint sie zögernd.
    »Haben Sie etwas zu bemerken? Irgendeine Ergänzung vorzuschlagen?«
    Sie zuckt mit den Schultern. »Ich habe ihn nur flüchtig gesehen, als er im Wagen vorüberfuhr. Nein, ich habe nichts hinzuzufügen.«
    »Gut. Sie können gehen.«
    Zumindest wissen wir jetzt, wie der Weißhaarige ungefähr aussah. Ich rufe Gikas an und übermittle ihm, was mir Niki Kousta erzählt hat.
    »Glauben Sie, daß sie nichts damit zu tun hat?« fragt er mich.
    »Ich glaube nicht, daß ich auf etwas stoßen werde, das ihre Aussage entkräftet. Außerdem bestätigt sie, was wir ohnehin schon wußten. Der einzige neue Hinweis ist der auf den Weißhaarigen, der wieder aufgetaucht ist und dessen ungefähres Aussehen wir nun kennen.«
    »Den müssen wir finden. Verteilen Sie das Phantombild an die Polizeidienststellen. Und schicken Sie mir eine Kopie für die Journalisten. Möglicherweise kommt dabei was raus.«
    »Vielleicht. Wenn er nicht schon in Moskau sitzt und in aller Seelenruhe Wodka trinkt.«
    Ich lege den Hörer auf die Gabel und bemühe mich, die Informationen einzuordnen, die mir die Kousta geliefert hat. Sicherlich hat Petroulias die Beziehung zu ihr nicht zufällig eingefädelt. Er hatte sie wohl überdacht. Zuerst sicherte er sich Koustas’ Tochter, dann ließ er die Fußballmannschaft verlieren, um Koustas zum Einlenken zu zwingen, und als der nicht klein beigab, behielt er die Rate des Schwarzgelddarlehens für sich und setzte sich mit Koustas’ Tochter ab. Er hatte ihn aber unterschätzt. Im Grunde hatte er damit gerechnet, daß Koustas seiner Tochter zuliebe nachgeben würde. Doch wahrscheinlich war ihm das gar nicht möglich. Das Geld gehörte nicht ihm, sondern seinen Geschäftspartnern, und er war ihnen ausgeliefert. Wenn ich an Koustas denke, läuft es mir kalt über den Rücken. Er hat den Freund seiner Tochter umgebracht, er hat seinen Sohn zu einem Junkie gemacht und seine zweite Frau von ihrem behinderten Sohn getrennt. Und all das wegen einiger hundert Millionen steuerfreier Einnahmen im Jahr.
    Ich prüfe mit Nachdruck mein Gedächtnis, um mich an die vergessene Einzelheit zu erinnern. Doch nichts … Das einzige, woran ich mich erinnern kann, ist der diffuse Drang, das Phantombild jemandem Bestimmten zu zeigen. Aber wem?

56
    D er Gedanke schießt mir zu einem unerwarteten Zeitpunkt durch den Kopf, nämlich mitten im Schlaf. Ich schlage die Augen auf und nehme den Wecker vom Nachttischchen. Er ist zehn nach drei. An meiner Seite höre ich Adrianis ruhige, regelmäßige Atemzüge. Ich springe aus dem Bett und gehe ins Wohnzimmer. Ich lasse mir über den Polizeinotruf die Telefonnummer des Polizeireviers Chaidari heraussuchen. Solcher Übereifer macht sich zwar üblicherweise nicht bezahlt, doch ich halte es vor lauter Ungeduld nicht länger aus. Ich rufe das Polizeirevier an und verlange Kriminalhauptwachtmeister Kardassis zu sprechen.
    »Er ist nicht hier, Herr Kommissar«, sagt der diensthabende Beamte. »Er tritt seine Schicht um acht Uhr morgens an.«
    Ich lege mich wieder hin, doch ich kann nicht einschlafen. Meine Augen schweifen durch die Dunkelheit. Ich greife erneut nach dem Wecker und sehe, daß es auf halb fünf zugeht. Ich gehe in die Küche und mache mir

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