Nachtfalter
daß Sie eine Bank sind. Ich meine nur, er könnte eventuell die Tageseinnahmen mitgenommen haben.«
»Oh, mais non«, entfährt es ihm auf französisch. »Das hat er niemals getan. Das Geld holt immer am Morgen der private Wachdienst mit einer Camionette ab.«
»Die Firma City Protection?«
»Genau die.«
Der Geldtransporter des Wachdienstes fuhr jeden Tag dieselbe Route: Kifissia – Kalamaki, Kalamaki – Athinon-Boulevard, Athinon-Boulevard – Bank. Wie ein Linienbus.
»Das war’s. Vielen Dank.«
»Bitte sehr. Ich hoffe, Sie haben Ihr Abendessen genossen.«
Ich beschränke mich auf ein Lächeln, das alles mögliche bedeuten kann. Er soll nur nicht meinen, ich würde mir gleich vor Ehrfurcht in die Hosen machen, weil er mir wie einem Kannibalen ein rohes Stück Fleisch vorsetzt.
Jedenfalls hatte Koustas kein Geld dabeigehabt, weder vom Rembetiko noch vom Canard Doré. Jetzt kann ich nur noch hoffen, daß er etwas von der Bank abgehoben hatte. Doch selbst wenn er das getan haben sollte, wo ist das Geld dann hingekommen? Und was war, wenn es sich nicht um Geld, sondern um etwas anderes handelte, das er aus dem Wagen holen wollte und das dann spurlos verschwand? Oder sollte das alles rein zufällig geschehen sein, und der Mörder wartete simpel darauf, daß Koustas aus dem Nachtlokal trat? Er kannte möglicherweise seinen Tagesablauf und seine Fahrtrouten und wußte, daß er ungefähr um diese Uhrzeit rauskommen mußte. Falls sich herausstellte, daß er kein Geld abgehoben hatte, war das die wahrscheinlichste Tatvariante. Trotzdem blieb die Frage offen, was er aus seinem Wagen holen wollte, unabhängig davon, ob ihn nun Schutzgelderpresser auf dem Gewissen hatten oder nicht.
Als ich zum Tisch zurückkehre, finde ich Adriani im trauten Gespräch mit der Kousta vor.
»Sind Sie fertig?« fragt die Kousta.
»Ja. Es ging ja auch wirklich um nichts Besonderes. Nur um ein Detail am Rande. Ist Ihr Geschäftsführer Franzose?«
»Ja, und der Koch auch. Ich sagte Ihnen doch, Dinos wollte ein durch und durch französisches Restaurant auf die Beine stellen.«
»Mit Ihnen jedenfalls gewinnt es ein ganz besonderes Flair«, sagt Adriani süßholzraspelnd zu ihr.
Die Kousta lacht verlegen auf, doch offensichtlich gefällt ihr der Gedanke. »Führen Sie mich nicht in Versuchung, Frau Charitou. Ich wollte nur für einige Tage probeweise reinschnuppern, doch ich bin mir nicht sicher, ob ich es übernehme. Wissen Sie, in gewisser Weise hat Makis schon recht«, wendet sie sich mir zu. »So viele Jahre habe ich in dieser Festung mit meinen Philippininnen verbracht, und jetzt erschreckt mich die Welt hier draußen.«
»Wenn Sie sich zu der Übernahme entschließen sollten, bleibt nur mehr der Nachtfalter herrenlos.« Sie versteht nicht, worauf ich hinauswill, und blickt mich fragend an. »Gestern abend war Makis im Rembetiko und ließ verlauten, er hätte nun das Sagen.«
Sie reagiert wie ihre Stieftochter. Ihr entfährt ein Seufzer, und sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. »Dann wird er auch den Nachtfalter übernehmen wollen. Die beiden Nachtlokale waren immer sein Traum. Er ist sich deswegen mit seinem Vater unzählige Male in die Haare geraten, doch der blieb eisern.« Sie seufzt erneut auf. »Jemand müßte ihm ins Gewissen reden und ihm erklären, daß das der Anfang vom Ende für ihn wäre – aber wer könnte diese Aufgabe übernehmen? Der einzige Mensch, auf den er hört, ist Niki. Mich haßt er, das haben Sie ja gesehen.«
»Ich habe es nicht nur mit eigenen Augen gesehen, sondern auch mit eigenen Ohren gehört.«
»Wann?«
»An dem Tag, als wir Ihr Haus verlassen haben, wartete er draußen auf uns, um uns zu sagen, daß Sie seinen Vater um den Finger gewickelt hätten.«
Ich platze damit ganz unverhofft heraus, um ihre Reaktion zu sehen, und bekomme ein bitteres Lächeln als Lohn. »Er hat nicht unrecht«, sagt sie nachdenklich. »Nicht, daß Dinos Wachs in meinen Händen gewesen wäre, das wäre zuviel gesagt. Aber daß ich ihn umgarnt habe, stimmt schon …«
Sie verstummt wieder, und ihr Blick verliert sich in der Ferne, zwischen den Bäumen. Als müsse sie sich weit zurückerinnern, um sich darüber klarzuwerden, ob sie Dinos Koustas um den kleinen Finger gewickelt hatte oder nicht. »Wissen Sie, wie ich meinen Mann kennenlernte?« fragt sie unvermittelt. »Ich war gerade im Akropol engagiert. Er besaß damals erst das Rembetiko und hatte gerade den Nachtfalter eröffnet.«
»Hatte er nicht
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