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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Aber sie erreicht damit, die Vorzüge einer reifen Frau im Vergleich zu einer Zwanzigjährigen voll und ganz zur Geltung zu bringen.
    »Guten Abend, Herr Charitos.« Und sie streckt mir ihre Hand entgegen.
    »Ich habe Sie nicht hier erwartet«, sage ich zu ihr, während ich ihr Adriani vorstelle, die beeindruckt zu ihr hochblickt.
    »Wissen Sie, Dinos hatte eine große Schwäche für das Canard Doré. Es war sein Vorzeigelokal. Ich dachte mir, wenn ich mich darum kümmerte, könnte ich damit seinem Andenken den besten Dienst erweisen.«
    Sie kommt mit uns, während uns der Oberkellner zu einem etwas abseits liegenden Tisch geleitet. Adriani hält ihren Blick immer noch auf sie geheftet. Schließlich kann sie sich nicht mehr zurückhalten.
    »Sie sind doch Elena Fragaki, oder täusche ich mich da?« fragt sie.
    Ein Lächeln breitet sich über das Gesicht der Kousta aus. »Ich danke Ihnen, daß Sie sich nach so vielen Jahren noch an mich erinnern«, entgegnet sie beinahe gerührt.
    »Sie vergißt man nicht so leicht.«
    Die Kousta streckt spontan die Hand aus und faßt Adriani am Arm. Verblüfft stelle ich fest, daß beide bereits ein Herz und eine Seele sind, da Adriani ihre Bewunderung ausdrücken und die Kousta ihre Eitelkeit befriedigen konnte.
    Der Oberkellner schlägt vor uns die Speisekarte auf. Rechts stehen die Gerichte auf französisch in lateinischer Schrift, links auf französisch in griechischer Schrift – ich verstehe kein einziges Wort. Die Kousta hilft mir sofort aus der Verlegenheit und sagt zum Oberkellner: »Was würden Sie empfehlen, Michel?«
    »Meine Empfehlung wäre die Meeresfrüchtevariation«, antwortet der Oberkellner diensteifrig. »Wenn Sie aber etwas eher Klassisches vorziehen, schlage ich die Entenleberterrine vor, außer, Sie wünschen Pilze à la provençale. Als Hauptgang empfehle ich Kalbsbraten ›bourguignon‹, garniert mit zarten Röstkartöffelchen, oder unsere Spezialität Coq au vin oder auch ein Entrecôte. Wenn Sie Fisch speisen möchten, dann ist sicherlich das Filet Saint-Pierre à la crème das Beste, was Ihnen unsere Küche bieten kann.«
    »Wählen Sie etwas für mich aus. Ich habe vollstes Vertrauen zu Ihnen«, meint Adriani, und ich sehe, wie dem Obergockel der Kamm schwillt, als stünde er knapp davor, mit Wein übergossen zu werden. In solchen Augenblicken kann ich sie nur bewundern. Obgleich sie nicht die Spur von all seinen Ausführungen verstanden hat, bringt sie es dennoch fertig, sich elegant aus der Affäre zu ziehen, ohne sich eine Blöße zu geben.
    »Welches von den genannten Gerichten ist denn vom Grill?« frage ich.
    »Das Entrecôte.«
    »Dann nehme ich das.«
    Kaum ist der Oberkellner entschwunden, ist schon ein dienstbarer Geist mit einem Brotkörbchen zur Stelle. Warme Schwarzbrotscheiben, Weißbrotscheiben, Grissini und eine Art kretischen Zwiebacks. Der Brotkorb allein würde reichen, eine fünfköpfige Albanerfamilie satt zu machen.
    »Was möchten Sie trinken?« fragt er uns.
    »Wein vielleicht?« meint Adriani und blickt mich an.
    »Einen 92er Chablis«, mischt sich die Kousta ein, und dann zu mir gewendet: »Sind Sie zum Essen hier oder geschäftlich, Herr Charitos?«
    Sie versteht es, mich ständig in Verlegenheit zu bringen. »Zum Essen, aber ich würde gerne auch beruflichen Nutzen daraus ziehen«, versuche ich mich herauszuwinden. »Nichts Besonderes. Ich möchte nur Ihren Geschäftsführer kurz befragen.«
    Mein Vorhaben scheint ihr nicht übel aufzustoßen, denn sie lächelt. »Er ist drinnen«, sagt sie und deutet auf das neoklassizistische Gebäude. »Sie können ihm alle Fragen der Welt stellen. Doch entschuldigen Sie mich jetzt. Ich bin gleich wieder bei Ihnen, sobald ich meine Begrüßungsrunde beendet habe.« Ich sehe, wie sie an den Nebentisch tritt und, immer mit diesem entwaffnenden Lächeln auf den Lippen, die Gäste in ein Gespräch verwickelt.
    »Wir sind hergekommen, weil du etwas Berufliches hier zu tun hast?« fragt mich Adriani.
    »Nein, wir sind hier, weil ich mit dir ausgehen wollte. Wir hätten natürlich irgendwo anders hingehen können, doch ich sagte mir, warum nicht hierher, dann kann ich das gleich mit meiner Frage an den Geschäftsführer verbinden.«
    Sie ist von dem Abend so angetan, daß sie mir das mit einem Lächeln verzeiht. Nun habe ich endlich Gelegenheit, mich umzublicken. Die Gäste sind alle im gleichen Alter, zwischen 45 und 60, jüngere sind nicht zu sehen. Alle sind sie wie aus dem Ei gepellt, und ich

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