Nachtfalter
größere Summe abgehoben hat.«
»Ich bedaure.«
»Ich kann die Erlaubnis des Staatsanwalts einholen und das Konto öffnen lassen.«
Er lächelt. »Die korrekte Vorgehensweise ist Ihnen doch bekannt. Wieso handeln Sie nicht danach? Dann bekommen wir alle keine Schwierigkeiten.«
»Na schön«, sage ich und erhebe mich. »Ich komme morgen mit der Genehmigung der Staatsanwaltschaft. Stellen Sie mir bitte zwei Ihrer Angestellten zur Verfügung.«
Er blickt mich verwundert an. »Warum?«
»Weil ich sein Bankkonto vom Tag seiner Eröffnung an durchforsten werde und für jede Ein- und Auszahlung, jede Abbuchung einen Nachweis sehen möchte. Rechnen Sie damit, daß Sie das zwei ganze Tage kosten wird.«
»Aber Sie haben doch gerade behauptet, Sie wollten nur die Abhebungen der letzten beiden Tage sehen!«
»Ich möchte, genauso wie Sie, meine Vorschriften einhalten. Und das ist die offizielle Vorgehensweise.«
Ich weiß, daß er nun vor seinem inneren Auge eine Menschenschlange sieht, die sich vor den Schaltern seiner Filiale auf die Füße tritt. Draußen ist inzwischen ein Gewitter losgebrochen, es blitzt und donnert. Der Filialleiter hebt den Hörer ab und läßt Koustas’ Kontoauszüge holen. Er legt den Hörer wieder auf und taxiert mich. Er würde mich liebend gerne vor die Tür setzen, doch ihm sind die Hände gebunden. Als man ihm die Kontoauszüge vorlegt, fischt er das letzte Blatt heraus und überreicht es mir. Aus diesem geht hervor, daß Koustas am Vorabend des Mordes nur gerade fünfzigtausend abgehoben hat. Davon hat er zwanzigtausend verbraten, und die restlichen Dreißigtausend waren in seiner Brieftasche. Es tauchen keinerlei weitere Abhebungen auf.
»Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen«, sage ich und gebe ihm das Blatt zurück.
Er grüßt mich nicht, als ich hinausgehe, und ich ihn auch nicht. Nicht mal aus Unhöflichkeit, denn meine Gedanken sind bei Koustas. Somit ist die Variante, daß er Geld abgehoben hat, um es dem Mörder zu überreichen, völlig vom Tisch. Bleibt nur noch die Möglichkeit, daß er mit ihm verabredet war und seinen Wagen aus diesem Grund aufschloß. Nur wenn wir den Mörder finden, werden wir vielleicht erfahren, was sie zu bereden hatten. Auf jeden Fall sollte Dermitzakis mal überprüfen, welche Telefongespräche Koustas über seinen Festanschluß und sein Mobiltelefon geführt hat. Vielleicht ergibt sich dadurch etwas Neues.
Als ich auf die Straße trete, gießt es in Strömen. Bis ich zu meinem Mirafiori gelange, bin ich bis auf die Haut durchnäßt und verfluche dieses Wetter, diesen Koustas, der ausgerechnet in Glyfada seine Konten eröffnen mußte, und diesen Filialleiter der National Bank, der mich so lange aufgehalten hat.
Auf der Höhe des Flughafens ist der Vouliagmenis-Boulevard vollkommen verstopft, und die Autos kommen nur im Schrittempo voran. Die Ampeln sind ausgefallen, die Nerven der Fahrer liegen blank, und es hebt ein Hupkonzert an. Meine Kleider kleben an mir, und ich zittere vor Kälte. Es kann nicht länger als eine halbe Stunde hersein, daß es zu schütten anfing, doch in Höhe von Ilioupoli stürzen bereits ganze Bäche die abschüssigen Querstraßen hinunter. Ein Yugo, ein Renault Clio und ein Fiat Uno sind in den Wassermassen steckengeblieben. Die Fahrer sitzen hinterm Lenkrad und starren auf den Sturzbach wie Touristen auf die Niagarafälle. Sollte der Mirafiori jetzt absterben, dann springt er mir nie wieder an, und ich muß fortan mit dem Bus fahren. Ich kurble das Fenster hinunter und gebe den Fahrern mit ein paar Handbewegungen zu verstehen, daß ich von der mittleren auf die linke Fahrspur wechseln möchte. Der Fahrer links von mir streckt seinen Kopf zum Fenster heraus, um mich mit Beschimpfungen zu überschütten, weil ich ihm den Weg abschneide. Doch der Regen versetzt ihm eine klatschende Ohrfeige. Daraufhin zieht er sich ins Wageninnere zurück und kurbelt das Fenster wieder hoch. Währenddessen gelingt es mir, auf die linke Fahrspur einzuschwenken. Bei der ersten Linkskurve schlage ich das Lenkrad ein und rolle auf den Gehsteig hoch. Ich stelle den Motor ab und warte bibbernd auf das Ende des Unwetters.
Gestern abend saß ich wie ein griechischer Reeder im französischen Restaurant, und heute morgen hocke ich wie ein pakistanischer Schiffbrüchiger nach dem Untergang eines griechischen Tankers auf dem Vouliagmenis-Boulevard.
15
D urch den Regen ist der Müll aus den Tüten gequollen und hat sich nun auf den Straßen des
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