Nachtfalter
wachsen läßt, nur um sich Ohrfeigen einzufangen, hat keinerlei Mitgefühl verdient.
21
W enn mir vorher jemand gesagt hätte, wie sehr mich die sechs Tage im Krankenhaus aus der Bahn werfen würden, hätte ich ihm kein Wort geglaubt. Als ich gestern mittag nach Hause zurückkehrte, fühlte ich mich so, als hätte ich auf irgendeiner Baustelle eine ganze Fuhre Ziegelsteine entladen. Ich setzte mich zum Essen und fiel danach sofort ins Bett. Ich wachte gegen acht Uhr abends auf, trödelte ein wenig herum, aß nochmals und schlief ohne Unterbrechung bis sieben Uhr morgens.
Jetzt sitze ich mit Katerina im Mirafiori, und wir biegen gerade von Ambelokipi in den Alexandras-Boulevard ein.
»Du brauchst nicht mehr länger in Athen zu bleiben«, sage ich halbherzig zu ihr. »Mir geht es schon wieder gut, du kannst nach Thessaloniki zurückfahren.«
»Willst du mich loswerden?« fragt sie lachend.
»Nein, aber ich möchte nicht, daß sich meinetwegen deine Doktorarbeit verzögert.«
»Die verzögert sich absolut nicht. Ich muß ohnehin einen Teil der Bibliographie in Athen zusammensuchen. Ursprünglich wollte ich das zu Weihnachten erledigen. Aber wenn ich schon deinetwegen hier bin, packe ich die Gelegenheit gleich beim Schopf. Wenn ich dich morgens abgeliefert habe, gehe ich in die Universitäts- oder in die Nationalbibliothek, arbeite bis eins und komme dich dann abholen.«
Ihre Rechtfertigung verschafft mir Erleichterung. »Und wie lange hast du noch vor hierzubleiben?« frage ich. So ist es eben: Sie gibt mir den kleinen Finger, und ich nehme gleich die ganze Hand.
»Weiß ich noch nicht, das kommt darauf an, wie lange ich für die Zusammenstellung der Bibliographie brauche«, entgegnet sie unbestimmt. »Ich komme um eins vorbei, um dich abzuholen«, meint sie, als ich aussteige.
»Um zwei.«
Sie fuchtelt abwehrend mit der Hand und steigt aufs Gas, um mir keine weitere Gelegenheit zum Feilschen zu geben.
Ich gehe zuerst in die Kantine und hole mir einen Kaffee. Das Croissant lasse ich ausfallen, seit Adriani auf einem zünftigen Frühstück besteht, anstelle von diesem »Plastikfraß aus der Kantine«, wie sie sich ausdrückt. Sie steht jetzt immer vor mir auf und serviert mir zwei Scheiben Knäckebrot mit Butter und selbstgemachter Orangenmarmelade, die sie während meines Krankenhausaufenthaltes zubereitet hat. Gefüllte Tomaten hat sie noch nicht für mich gekocht, weil das ein zu schweres Essen für mich sei. Aber ich werde sie schon rumkriegen, ich werde ihr damit so lange in den Ohren liegen und das arme Würstchen spielen, bis sie mir schließlich meine heißgeliebten gefüllten Tomaten serviert.
Dermitzakis lauert bereits vor meiner Bürotür. Sobald er mich erblickt, eilt er mir entgegen, als wolle er gleich den roten Teppich entrollen.
»Bei Petroulias’ Jacht sind wir weitergekommen«, sagt er, und sein Gesicht leuchtet vor Genugtuung. »Er hatte sie bei einer Charterfirma in Piräus gemietet. Ich habe die Inhaberin ersucht vorbeizukommen, bevor sie in ihr Büro fährt. Sie heißt Stratopoulou. Sie wartet bereits auf Sie.«
»Bring sie rüber«, sage ich und betrete mein Büro.
Ich komme kaum dazu, einen Schluck von meinem Kaffee zu schlürfen, als er mit einer kleinen, beleibten Frau an die Fünfzig eintritt. Sie trägt ein hellblaues Kostüm, eine dunkelblaue Bluse und Schuhe mit fünfzehn Zentimeter hohen Bleistiftabsätzen, womit sie gerade mal eine Körpergröße von eins fünfzig erreicht.
»Kleri Stratopoulou, Herr Kommissar«, stellt sie sich vor und reicht mir die Hand. »Geschäftsführerin der Firma San Marin – Motor- und Segeljachtverleih.«
»Bitte, nehmen Sie Platz. Sie haben Christos Petroulias die Motorjacht vermietet?«
»Nein, es handelte sich nicht um eine Motorjacht, sondern um eine Segeljacht mit Hilfsmotor, Herr Kommissar«, antwortet sie besserwisserisch.
»Nun, dann eben ein Segelboot, ein Kahn mit einem Fetzen Stoff obendrauf. Hatte er es bei Ihnen gechartert?«
»Jawohl. Als mich der Herr Kriminalobermeister gestern anrief, ließ ich gleich den Vertrag heraussuchen. Er hatte sie vom zehnten Juni bis zum zehnten Juli gemietet.«
»Wann haben Sie erfahren, daß das Fahrzeug herrenlos im Hafen lag?«
»Eine Frau hat uns telefonisch Bescheid gegeben. Sie sagte, Petroulias sei in die Notaufnahme eines Krankenhauses eingeliefert worden, und es gebe sonst niemanden, der das Schiff nach Piräus zurückmanövrieren könnte.«
»Wann hat sie sich bei Ihnen
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