Nachtfalter
interessieren, was aus Petroulias geworden ist?«
Sein ganzer Gedankengang ist simpel und hat Hand und Fuß. Nicht auszuschließen, daß all das zutrifft. Nur, daß mir Lösungen, die so einfach auf dem Tablett serviert werden, gegen den Strich gehen. Vielleicht, weil mir schon von Adriani viel zuviel Hausmannskost zum Fraß vorgeworfen wird. Zum Teufel noch mal, sollten wirklich alle erdenklichen Zufälle in diesem Fall eingetroffen sein? Da aber die Möglichkeit besteht, daß er recht behält und ich dann notgedrungen klein beigeben muß, lasse ich mir lieber ein Hintertürchen offen.
»Höchstwahrscheinlich haben Sie recht«, sage ich. »Lassen Sie uns noch ein bißchen weitermachen, um zu sehen, was dabei rauskommt.«
Ich wende mich zum Gehen, doch er hält mich an der Tür zurück. »Was haben Sie im Fall Koustas unternommen?«
»Ich habe ihn zu den unaufgeklärten Fällen gelegt.«
»Ausgleich, eins zu eins, um beim Fußball zu bleiben«, sagt er grinsend.
»Was meinen Sie damit?«
»Im Fall von Koustas haben Sie auf mich gehört. Im Fall von Petroulias werden Sie Ihren Kopf schon durchsetzen.«
Wenn ich nur etwas über Koustas in der Hand hätte, dann wäre es vorbei mit dem Unentschieden.
Vlassopoulos sieht, wie ich mein Büro betrete, und hechtet mit einer Fotokopie in der Hand hinter mir her.
»Petroulias’ Steuerbescheid.« Er bremst meinen Elan, bevor ich noch dazu komme, ihn mir anzusehen. »Sie können sich die Mühe sparen. Er hat nur die Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Schiedsrichter und die Mieteinnahmen einer Dreizimmerwohnung in Maroussi angegeben. Das Apartment in der Panga-Straße gehörte ihm. Eine Segeljacht oder ein anderes Boot besaß er nicht, das hätte er sonst eingetragen. Er war nur im Besitz eines Autos, eines Audi 80. Er hat so wenig angegeben, daß man ihn rein aufgrund seiner Vermögenswerte eingestuft hat.«
Ein kurzer Blick auf den Steuerbescheid bestätigt Vlassopoulos’ Ausführungen. Petroulias’ Jahreseinkommen belief sich auf insgesamt vier Millionen, inklusive der Mieteinnahmen durch die Dreizimmerwohnung. »Und wie konnte er sich bei so einem Einkommen ein ganzes Dachgeschoß in der Panga-Straße, eine Dreizimmerwohnung in Maroussi und Segelkreuzfahrten leisten?«
Vlassopoulos hebt ratlos die Arme in die Höhe. »Was weiß ich. Keinen blassen Schimmer.«
Es sieht so aus, als säße Gikas auf dem falschen Dampfer. Der Fall ist doch nicht so einfach in seine Einzelteile zu zerlegen, wie er glaubte. Bis zu einem gewissen Grad hat er dennoch recht. Wenn man keine anderen Anhaltspunkte hat, dann soll man sich zunächst an den augenscheinlichen Tatsachen orientieren.
»Setz dich mit dem Verband der Fußballschiedsrichter in Verbindung und gib Bescheid, sie sollen sich morgen mit Petroulias’ Unterlagen für uns bereithalten.«
»Wird gemacht.«
Auf dem gegenüberliegenden Balkon befinden sich eine sehr junge kurzhaarige Frau und ein langhaariger Kleiderschrank im schönsten Streit. Ich höre nicht, was sie sagen, aber ihren Gesten entnehme ich, daß sie kurz davor sind, handgreiflich zu werden. Der Hüne will sie am Oberarm packen, doch die junge Frau kommt ihm zuvor und stößt ihn von sich. Anscheinend gibt er eine Beleidigung von sich, denn ich sehe, wie sie ihre Hand hebt und ihm eine derart schallende Ohrfeige verpaßt, daß ich sie bei geöffnetem Fenster bis in mein Büro gehört hätte. Dann dreht sie sich um und stürzt in die Wohnung.
Das Telefon schellt. Man gibt mir Bescheid, daß meine Tochter unten auf mich wartet. Ich blicke auf mein Handgelenk – es ist ein Uhr. Auf die Minute pünktlich. Sie gesteht mir keinerlei Freiraum zu.
Sowie ich mich von meinem Schreibtisch erhebe, sehe ich, wie die junge Frau aus dem Wohnhaus tritt. Sie hat eine Sportjacke übergeworfen, trägt eine Tasche über der Schulter und entfernt sich mit raschen Schritten. Der Kleiderschrank klammert sich an das Balkongitter und ruft hinter ihr her, doch sie würdigt ihn keines Blickes. Sie biegt um die Ecke und verschwindet. Ich sehe, wie sich der Kleiderschrank mit dem Rücken an die Häuserwand lehnt und sein Gesicht mit beiden Händen bedeckt. Sein Körper wird von Schluchzen geschüttelt. Früher hatten die Männer kurze und die Frauen lange Haare, und die Frauen heimsten Ohrfeigen ein und heulten. Heutzutage haben die Frauen kurze und die Männer lange Haare, und die Männer heimsen Ohrfeigen ein und heulen. Durchaus logisch, aber ein Mann, der sich die Haare
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