Nachtflamme: Roman (German Edition)
so.«
»Nein. Es war cool, als Zehnjähriger spüren zu können, was die Leute dachten oder fühlten. Es war toll, und ich konnte es zum Beispiel auch in der Schule benutzen. Wenn wir einen Geschichtstest schrieben, und der Klassenbeste saß in der nächsten Reihe, warum sollte ich ihn nicht anzapfen, wenn ich eine gute Note haben wollte?«
Er räumte das Geschirr weg, das er schon abgetrocknet hatte. Sie war ruhiger, wenn ihre Hände bei dem Gespräch beschäftigt waren. »Nach einer Weile bekam ich ein schlechtes Gewissen. Und ich fühlte mich komisch, weil ich in den Kopf jedes beliebigen Lehrers blicken und sehen konnte, was er vorhatte. Ich erfuhr auch Dinge, die mich gar nichts angingen. Probleme zu Hause, so etwas. Meine Eltern hatten mich dazu erzogen, die Privatsphäre anderer zu respektieren, und jetzt drang ich auf einmal überall ein. Also hörte ich auf damit.« Er lächelte. »Meistens jedenfalls.«
»Es hilft, dass du auch nicht so perfekt bist.«
»Es hat eine Weile gedauert, bis ich gelernt hatte, damit umzugehen. Manchmal war ich nicht aufmerksam genug, dann ist mir einiges entgangen – manchmal war ich zu aufmerksam, dann passierte das Gleiche. Und manchmal tat ich es absichtlich. Es gab ein paar Ereignisse, wo so ein Blödmann versuchte, mich auf die Palme zu bringen. Und … als ich älter war, ging es natürlich um Mädchen. Dann schaute ich schon mal bei einer, ob ich sie herumkriegen könnte.«
»Und, hat es funktioniert?«
Fox lächelte nur und räumte weiter Teller ein. »Dann ging, zwei Wochen bevor wir siebzehn wurden, alles wieder von vorne los. Ich wusste – wir wussten -, dass es keineswegs vorbei war, und auf einmal wurde mir klar, dass meine Gabe sicher nicht dazu bestimmt war, damit herumzuspielen. Also hörte ich auf.«
»Meistens?«
»Nein, fast völlig. Es ist da, Layla, es ist ein Teil von uns. Ich kann die Tatsache nicht kontrollieren, dass ich etwas von jemand anderem erspüre, aber ich habe die Kontrolle darüber, wie weit ich in jemanden eindringe.«
»Das muss ich erst noch lernen.«
»Und du musst vielleicht auch noch lernen, dich hineinzudrängen. Wenn es um Privatsphäre, um das Leben anderer geht, muss man erst einmal eine Barriere überwinden, bevor man sich traut, sich hineinzubegeben.«
»Aber woher weiß man denn, wann es richtig ist?«
»Daran arbeiten wir noch.«
»Ich bin in deiner Gegenwart nicht besonders entspannt.«
»Das habe ich schon gemerkt. Woran liegt das?«
Sie legte weitere Teller und eine Schüssel ins Spülwasser. Der kleine Junge war hineingegangen, stellte sie fest, und der Hund lag auf der Veranda und schlief.
»Weil mir bewusst ist, dass du spüren kannst, was ich denke oder fühle. Auf jeden Fall macht es mich nervös. Obwohl ich weiß, dass du es kontrollierst und dass ich dich davon abhalten kann. Vielleicht auch beides. Du wusstest zum Beispiel nicht, was ich heute empfunden habe, als du mich geküsst hast.«
»Ich war völlig durcheinander.«
»Wir fühlen uns zueinander hingezogen. Kann ich das so sagen?«
»Von meiner Seite aus absolut.«
»Und das macht mich nervös. Es ist auch verwirrend, weil ich nicht weiß, wie realistisch es ist.« Layla spülte die Schüssel aus und reichte sie Fox. »Und ich weiß nicht, ob wir uns das auch noch antun sollten, bei all den anderen Problemen, um die wir uns kümmern müssen.«
»Lass uns noch ein bisschen beim Thema bleiben. Bist du nervös, weil ich mich zu dir hingezogen fühle, oder weil wir uns zueinander hingezogen fühlen?«
»Letzteres, und ich brauche nicht hellsichtig zu sein, um dir anzusehen, dass dir die Vorstellung gefällt.«
»Ja, die beste Idee, die ich seit Wochen, vielleicht sogar seit Jahren, hatte.«
Sie drückte ihre nasse, seifige Hand auf sein Hemd, als er sich vorbeugen wollte. »Ich kann mich nicht entspannen, wenn ich darüber nachdenken muss, ob ich mit dir ins Bett gehen soll. Die Vorstellung, Sex mit dir zu haben, wühlt mich einfach auf.«
»Entspannen können wir uns später. Ich kann dir sogar garantieren, dass wir viel entspannter sein werden, wenn wir diesen aufwühlenden Teil hinter uns gebracht haben.«
Layla schob ihn weg. »Zweifellos. Aber ich vermische die Dinge nicht gerne. Ich packe sie lieber in getrennte Schubladen. So bin ich eben. Ich werde es eine Zeitlang wegschieben müssen. Ich muss darüber nachdenken, und wenn ich etwas von dir lernen will, wenn ich euch von Nutzen sein soll, muss ich mich darauf konzentrieren.«
Er
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