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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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entkräftenden Saft der Beere.
    Wieder warf er sich in die Luft, doch er bewegte sich vorwiegend nach unten. Er konnte einfach nicht die Kraft aufbringen, mit den Segeln zu schlagen. Er wimmerte vor Wut und Enttäuschung. Er musste doch unbedingt zurück zu seinem Vater und zu Sylph.
    Der Boden war nicht weit unter ihm und in dem schwächer werdenden Licht fiel ihm das dichte, grüne Gebüsch auf. Tee. Sofort flog er hin, landete hart auf dem Boden und riss ein Blatt vom Stängel. Schnell kaute er. Es schmeckte bitter und trieb ihm das Wasser in die Augen, doch er aß noch ein zweites hinterher. Die Wirkung setzte unverzüglich ein. Sein Herz schlug schneller und ein rastloses Zucken fuhr ihm durch seine Glieder. Sein Kopf wurde klar. Er wollte sich unbedingt bewegen.
    Seine Segel peitschten los und hoben ihn vom Boden. Seine Sinne waren angespannt und wachsam. Die Sonne war schon am Untergehen und Dunkelheit sammelte sich zwischen den Bäumen. Er setzte sein Echosehen ein, um seinen Weg zu planen, kurvte um Äste und Kaskaden von Schlingpflanzen. Sein Atem ging abgehackt, doch er trieb sich noch stärker an. Er schnupperte und lauschte beim Fliegen, ständig auf der Hut vor der Bestie. War sie hier schon entlanggekommen?
    In der scharfen, silbrigen Welt seines Echosehens erschien ihm alles so anders, dass er fast über den Festmahlbaum hinausgeschossen wäre. Er wendete und flog in einer Spirale nach unten. Auf den breiten unteren Ästen erkannte er die dunklen Gestalten seiner Kolonie. Es brauchte nur Sekunden, bis er merkte, dass niemand sich bewegte. Und kein einziger Baumrenner war in Sicht.
    »Papa? Sylph?«
    Vorsichtig flatterte er näher und suchte schnuppernd den vertrauten Duft seiner Familie. Doch in der Luft hing der ungesunde Geruch derselben Beere, die ihn in den Schlaf gestürzt hatte und der durch den schlaff geöffneten Mund eines jeden Chiropters ausgestoßen wurde. Ihm drehte sich der Magen um und beinahe hätte er sich wieder übergeben.
    Die Chiropter waren nicht tot, nur bewusstlos – und vollkommen hilflos. Lang ausgestreckt lagen sie zwischen den Überresten ihres giftigen Festmahls.
    Dämmers Haut wurde unter seinem Fell feucht, als er schließlich erfasste, was da gerade geschah.
    »Wacht auf!«, schrie er, während er über die Chiropter kletterte und versuchte, seinen Vater und seine Schwester zu finden. Einige der Chiropter wachten langsam auf und murrten empört.
    »Sylph!«
    Er fand sie zusammengesackt auf einem Haufen anderer Neugeborener. Er stupste ihren Kopf mit seinem an. Sie bewegte sich, wachte aber nicht auf.
    Im Wald hörte er es knacken.
    Dämmer wurde stocksteif. Er starrte in die Dunkelheit. Es war jetzt völlig still. Die üblichen Nachtgeräusche der Insekten fehlten. Dann kamen ein zweites Knacken und ein drittes. Die langen Abstände dazwischen machten ihm klar, dass sich ein gewaltiges zweibeiniges Wesen langsam und bedächtig näherte.
    »Sylph!«, bellte er seiner Schwester ins Ohr. »Wach auf!«
    Er biss sie, und sie stieß einen wütenden Schrei aus, richtete sich aber auf.
    »Hast du mich gerade gebissen?«, fragte sie wütend.
    »Los, alle aufwecken«, sagte Dämmer. »Sei so laut, wie du willst! Beiße sie, wenn nötig, aber weck sie auf!«
    »Wo bist du gewesen?«, fragte sie und runzelte verwirrt die Stirn. »Du warst nicht bei dem Festmahl und …«
    »Das ist jetzt egal. Sylph, da kommt was. Wo ist Papa?«
    »Da drüben, glaub ich.«
    Noch mehr Fußtritte brachen durch den Wald und Sylph sah Dämmer mit großen Augen an.
    »Das ist groß«, murmelte sie.
    »Beeil dich!«, trieb er sie an. »Und schau zu, dass dir jeder hilft, der wach ist.«
    Dämmer eilte über den Ast, wobei er absichtlich ganz fest auf jeden Chiropter auf seinem Weg trat und ihn anfauchte, aufzuwachen. Nova, Sol und Barat schliefen nahe bei seinem Vater. Auch den Kopf seines Vaters stieß er mit seinem eigenen an und rief ihn immer wieder. Er wusste, dass seine Stimme vermutlich bis weit in den Wald zu hören war, doch daran konnte er jetzt nichts ändern.
    »Was ist denn?«, sagte Ikaron mit schwerer Stimme nach einigen Augenblicken.
    »Papa, da kommt was, um uns zu fressen!«
    Sein Vater schüttelte sich und stand blinzelnd auf. »Wo?«
    Dämmer deutete mit dem Kinn.
    Sie hörten nichts. Immer noch gaben die Insekten keinen Ton von sich und die Stille war so schwer und stickig wie die Dunkelheit. Dämmer schnupperte, doch der Wind kam von hinten und er roch nichts.
    »Bist du dir

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